Sonntag, 27. August 2006
Der Nationalsozialismus und seine Ideologie
Deutschland und der Nationalsozialismus vor der Machtübernahme
Wurzeln und Bestandteile der NS-Ideologie
Rassentheorien
Die Ursprünge des Nationalsozialismus gehen vor allem auf antisemitische und nationalistische Stimmungen und Ziele zurück, die während des Kaiserreichs in der deutsch-völkischen Bewegung vertreten waren.
Daraus gingen gegen Ende des 19. Jahrhunderts unterschiedliche kleine Parteien und Gruppen hervor, deren wichtigste Gemeinsamkeit der Antisemitismus und die Bereitschaft zu terroristischer Gewalt gegen Andersdenkende war. Eine davon war die Thule-Gesellschaft: Sie entstand in der Endphase des Ersten Weltkrieges als eine Art Geheimbund. Viele seiner Mitglieder wechselten bald nach ihrer Gründung in die neue NSDAP über: darunter auch spätere NS-Größen und führende "Ideologen" wie Alfred Rosenberg, Rudolf Hess, Hans Frank oder Julius Streicher.
Die NSDAP verfügte jedoch zunächst nicht über eine einheitliche Programmatik. Partei-Ideologen griffen auf ein Konglomerat verschiedener philosophischer und pseudowissenschaftlicher Theoreme des 19. Jahrhunderts zurück, die unausgeglichen nebeneinander standen: Bruchstücke der Ideen Friedrich Nietzsches, genetische Begründungen des Rassismus unter Bezugnahme auf die Forschungen Charles Darwins (vgl. Sozialdarwinismus), antisemitische Verschwörungstheorien wie die "Protokolle der Weisen von Zion", esoterische Elemente und ein "völkischer" Antikapitalismus.
Die Geschichtsauffassung des Marxismus, nach der die Geschichte eine Abfolge von Klassenkämpfen darstellt, wurde von den Nationalsozialisten, namentlich von Hitler, umgedeutet, und in seiner programmatischen Autobiographie „Mein Kampf“ definiert als eine Abfolge von "Rassenkämpfen" um „Lebensraum“, an deren Ende die "gesündeste" und "durchsetzungsfähigste" "Rasse" obsiege, nachdem sie "minderwertige Rassen" ausgerottet oder versklavt habe.
Laut Hitler war die "arische" Rasse, zu der er das „deutsche Volk“ zählte, zu diesem Sieg auserwählt. Als Hauptfeind in diesem "Menschheitskampf" - noch vor anderen "Rassen" -, bezeichnete Hitler dabei die Juden, die er nicht als Religionsgemeinschaft, sondern - entgegen jeglichem Augenschein - als "Rasse" definierte, deren besondere Gefahr darin bestehe, die verschiedenen "Rassen" vermischen zu wollen, und dabei auf Ideologien wie den Liberalismus, Internationalismus, Pazifismus oder den Marxismus zurück griffen. Dadurch würden sie an sich "gesunde Rassen" zersetzen.
Wo die Nationalsozialisten nicht-arische "Rassen" "nur" als „Untermenschen“ betrachteten, wurden „die Juden“ im Sprachgebrauch Hitlers zu „Ungeziefer“ und „Krankheitserregern“.
Die verbreitete Ablehnung der Republik wurde durch verschiedene Faktoren begünstigt. Dazu gehörten zunächst vor allem die Maßnahmen der kaiserlichen Obersten Heeresleitung (OHL) am Ende des Ersten Weltkrieges, die die Kriegsführung zu verantworten hatte. Im September 1918 mussten die Generäle Erich Ludendorff und Paul von Hindenburg die Kriegsniederlage einräumen und stuften den Kampf als aussichtslos ein. Sie empfahlen dem Kaiser nun, die zuvor abgelehnten Waffenstillstandsbedingungen des US-Präsidenten Woodrow Wilson anzunehmen und die Regierungsverantwortung den liberalen und demokratischen Kräften anzuvertrauen, was in den Oktoberreformen geschah. Damit schoben sie zugleich die Verantwortung für ihr Versagen und dessen Folgen ab, so dass die Zustimmung zu den Kapitulationsbedingungen des 10. November 1918 und später zum Versailler Vertrag formell nicht mehr in ihre Zuständigkeit fiel.
Diese Situation ermöglichte die seit etwa 1920 verbreitete Propagandalüge der "Dolchstoßlegende". Hindenburg selbst stellte diese auf, indem er behauptete, das "...im Felde unbesiegte deutsche Heer" sei "von hinten...erdolcht..." worden. Der Vorwurf sollte die linken Kräfte treffen, deren Novemberrevolution das von den Generälen hinausgezögerte Kriegsende erzwungen hatte. Die Dolchstoßlegende wurde von zahlreichen Medien, vor allem des Hugenberg-Pressekonzerns, begeistert aufgegriffen und propagiert.
Revolution und Entstehung der Republik
Novemberrevolution, Weimarer Republik
Die Novemberrevolution ermöglichte zwar die Gründung der Republik; doch in ihrem Verlauf sah die SPD-Führung um Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann und Gustav Noske vor allem eine Gefahr durch weitergehende Forderungen der Revolutionäre. Um dieser Gefahr zu begegnen wurde der Ebert-Groener-Pakt geschlossen: Die neue Regierung erhielt die Unterstützung rechtsextremer Gruppen wie den Freikorps und regulärer Truppen, im Gegenzug verzichtete sie auf demokratische Reformen bei der Reichswehr. So war schon die Entstehung der ersten Demokratie auf deutschem Boden von blutigen, bürgerkriegsartigen Auseinandersetzungen überschattet. Diese begünstigten auch bei Teilen der linken Wählerbasis eine republikfeindliche Einstellung.
Die Strukturen und das Personal der Kaiserzeit mit oft rechtsextremer Einstellung in weiten Teilen von Wirtschaft, Verwaltung, Justiz und Militär wurden in die Weimarer Republik übernommen. Die Weimarer Reichsverfassung schützte ausdrücklich einige Privilegien des kaiserlichen Beamtenapparats.
Die NSDAP war weder die einzige noch die erste rechtsextreme Partei, die die parlamentarisch-demokratische Weimarer Republik von Grund auf ablehnte und bekämpfte. Diese Haltung verband sie vielmehr mit einer Reihe von national-konservativen und nationalistischen Parteien, die sich um 1918/1919 neu gründeten, vor allem die DNVP. Sie vertrat die antidemokratische Grundhaltung von großen Teilen des konservativen, d.h. monarchistisch-kaisertreuen Bürgertums.
Seit 1919 begingen Rechtsextremisten relativ häufig politische Morde an bedeutenden Vertretern der Arbeiterbewegung (z.B. Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht, Kurt Eisner). Die Münchner Räterepublik wurde durch die Freikorps brutal niedergeschlagen, und auch liberale und konservative sogenannte Erfüllungspolitiker (Walter Rathenau, Matthias Erzberger) wurden Opfer von Mordanschlägen. Rechtsextreme Täter entgingen häufig einer Strafverfolgung oder wurden milde bestraft, gegen politisch motivierte Straftaten von Sozialisten und Kommunisten ging die Justiz mit äußerster Härte vor.
Diese Blindheit galt auch für die massenwirksame Propaganda, die nicht nur von den Rechtsextremen selbst ausging, sondern von einer Vielzahl "bürgerlicher" Medien geteilt und mitgetragen wurde. Die Demokraten in der Verwaltung der Weimarer Republik wurden zum Teil systematisch verunglimpft: so z.B. der Berliner Polizeipräsident Bernhard Weiß, der gegen Rechtsbrüche der SA vorging. Die Bildung solcher paramilitärischen Verbände wurde ebenfalls von den Behörden geduldet: Die SA begleitete die Versammlungen und Kundgebungen ihrer Partei und begann auch bei anderen Parteiversammlungen immer wieder Straßen- und Saalschlachten.
Ferner verhinderten institutionelle und verfassungsrechtliche Defizite der Weimarer Republik zeitweise eine tragfähige, demokratisch legitimierte Politik. Das geltende Verhältniswahlrecht ohne Sperrklausel verhalf auch kleinsten Splitterparteien zu Sitzen im Reichstag. Diese hatten weniger die Interessen der Gesamtbevölkerung als die ihrer Klientel im Auge. Dadurch wurden oft eindeutige Mehrheiten verhindert und heterogene Regierungskoalitionen erzwungen, die dann in Krisenzeiten auseinanderbrachen oder dazu führten, dass man die Arbeit durch ein Ermächtigungsgesetz der Regierung überließ. So wurden mehrfach Neuwahlen ausgerufen. Gerade dies führte am Ende der Republik zu einer Politik, die von Notverordnungen des mächtigen Reichspräsidenten geprägt war. All dies lähmte den demokratischen Willensbildungsprozess und verstärkte die Unzufriedenheit der Bürger mit den etablierten politischen Parteien in den Zeiten der Krise.
Weimarer Republik
1920-1925: Gründung, Verbot und Neuaufbau der NSDAP
Die NSDAP ging am 24. Februar 1920 in der noch jungen Weimarer Republik aus der Deutschen Arbeiterpartei (DAP) in München hervor. Sie vertrat in ihrem 25-Punkte-Programm von Anfang an entschieden antidemokratische, völkisch-nationalistische und rassistische, vor allem antisemitische Positionen. Ende des Jahres erwarb sie den Münchner Beobachter und macht ihn zum Völkischen Beobachter (VB), dem "Kampfblatt der nationalsozialistischen Bewegung Großdeutschlands". Anfangs ermöglichte er es Hitler, die Menschen öfter, ab 8. Februar 1923 täglich zu erreichen. Nach der Machtübernahme hatten die Artikel des VB offiziellen Charakter.
Adolf Hitler war bis dahin ein in der Öffentlichkeit unbekannter, erfolgloser, 1913 nach Bayern umgezogener österreichischer Kunstmaler und im Ersten Weltkrieg einfacher Soldat (Gefreiter) in einem bayrischen Regiment gewesen. Im Auftrag des Militärs besuchte er unter anderem Veranstaltungen der DAP (Deutsche Arbeiter Partei) und wurde zunächst von ihr als Redner angeworben. In dieser Funktion kam er zum Ruf eines "Trommlers" und "Einpeitschers" der Partei, der er in Bayern schnell einen gewissen Zulauf aus völkischen Kreisen verschaffen konnte. Hitler wurde 1921 zum Vorsitzenden der NSDAP, nachdem sein Redetalent für die Partei nahezu unverzichtbar geworden war. Der Organisation schlossen sich auch ehemals führende kaisertreue Militärs an, so zum Beispiel ex-General Erich Ludendorff, im Ersten Weltkrieg Mitglied der Obersten Heeresleitung.
Die NSDAP-Mitglieder gehörten von Beginn an zu den entschiedensten Gegnern der Republik, obwohl auch sie in ihrem Rahmen Wähler zu gewinnen versuchten. Anfangs konnte die neue rechtsextreme Partei die antidemokratische Grundströmung nicht auf ihre Mühlen lenken. Aber sie nutzte die allgemeine Ablehnung des Versailler Vertrages, um die von ihr so bezeichneten "Novemberverbrecher" an den öffentlichen Pranger zu stellen. Wie allen Rechtsextremen galten ihr besonders die führenden SPD-Politiker, denen 1918 die Macht übergeben worden bzw. "zugefallen" war (Friedrich Ebert, Philipp Scheidemann), als Erfüllungsgehilfen der alliierten Siegermächte des Ersten Weltkrieges. Sie diffamierte die Demokratie als vorübergehende Erscheinung und nannte sie "Systemzeit". Eine große Hilfe waren die hohen Reparationsforderungen der Alliierten.
Der Kapp-Putsch vom März 1920 stellte die Republik auf eine erste Bewährungsprobe. Freikorps unter General von Lüttwitz besetzten das Berliner Regierungsviertel und ernannten den ehemaligen Generallandschaftsdirektor Wolfgang Kapp zum Reichskanzler. Die legale Regierung zog sich zunächst nach Dresden und anschließend nach Stuttgart zurück und rief von dort aus zum Generalstreik gegen die Putschisten auf. Der Putsch scheiterte rasch; entscheidend für die Niederlage war die Weigerung der Ministerialbürokratie, den Anordnungen Kapps Folge zu leisten. Die Reichswehr hatte sich demgegenüber abwartend verhalten (Hans von Seeckt: „Truppe schießt nicht auf Truppe.“).
Die NSDAP gewann zunächst vor allem in München eine gewisse Anhängerschaft, spielte aber in Bayern während der ersten Jahre der Republik ansonsten kaum eine wichtige politische Rolle. Außerhalb Bayerns wurde Hitler Anfang der 1920er Jahre nicht wirklich ernstgenommen.
Dennoch versuchten Hitler und Ludendorff mit einigen Parteigängern am 9. November 1923 beim sogenannten Hitler-Ludendorff-Putsch, ausgehend von einer Versammlung im Münchner Bürgerbräukeller, deren Führung Hitler an sich gerissen hatte, die Regierung in Bayern und im Reich abzusetzen. Die verschiedenen Krisen im Deutschen Reich, so etwa die große Inflation (vgl. Deutsche Inflation 1914 bis 1923) oder die französisch-belgische Ruhrbesetzung, beides Folgen der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem Versailler Vertrag, den Hitler und die Seinen als "Verrat der Demokraten am im Felde unbesiegten deutschen Heer" betrachteten (vgl. Dolchstoßlegende), schienen ihm als günstige Voraussetzungen, den Putsch zu wagen. Viele Unzufriedene, wie entlassene Offiziere und Personen die durch die Inflation faktisch enteignet worden waren, sammelten sich in der NSDAP und/oder in der SA.
Beim anschließenden Marsch auf die Feldherrnhalle wurde der Putschversuch jedoch schnell von der bayerischen Landespolizei niedergeschlagen. Kurz darauf wurde Hitler zur gesetzlichen Mindeststrafe von 5 Jahren Festungshaft in der Festung Landsberg verurteilt und die NSDAP zunächst verboten. Den Prozess konnte Hitler als Propagandaveranstaltung nutzen. In der Haft, während der Hitler viele Vergünstigungen genoss, entschloss sich Hitler, die Macht in Deutschland auf legalem Wege zu erringen. Er diktierte seinem damaligen Sekretär und späteren Stellvertreter Rudolf Hess seine programmatische Autobiografie "Mein Kampf", in der er seine Ziele und Vorhaben, die er nach 1933 umsetzen sollte, vorwegnahm.
Der Hitlerputsch war der vorläufige Höhepunkt der Rechtsextremen gewesen, mit einem wirtschaftlichen Aufschwung fiel ihre Bedeutung. Auf dem Markt erschienen Neuheiten wie der für alle zugängliche Rundfunk oder erschwingbare Autos aus der Massenproduktion, die von den Nationalsozialisten früh und erfolgreich genutzt wurden.
Die nationalsozialistische Bewegung zerbrach in mehrere Parteien, von denen aber nur zwei eine gewisse Bedeutung erreichten und die auch insgesamt an Stimmen verloren. Eine der beiden bedeutenderen war die Großdeutsche Volksgemeinschaft unter dem von Hitler ausgewählten Alfred Rosenberg, der im Juli 1924 von Julius Streicher und Hermann Esser abgelöst wurde. Sie konkurrierte mit der Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung Großdeutschlands mit Gregor Strasser und Erich Ludendorff.
Schon am 20. Dezember 1924 wurde Hitler wieder aus der Haft entlassen.
1925-1929: Die NSDAP als Splitterpartei
Am 27. Februar wurde die NSDAP in München neu gegründet und die meisten nationalsozialistischen Gruppen und Parteien vereinigten sich in ihr unter der unumschränkten Führung Hitlers. Die Strukturen der Partei wurden in den folgenden Jahren geprüft und ihre Organisation verbessert.
Als 1924 dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert im Dolchstoßprozess vorgeworfen wurde, durch seine Beteiligung an den Streiks während des Weltkrieges habe er Landesverrat begangen, ließ er eine Blinddarmentzündung nicht rechtzeitig behandeln und starb 1925. Die folgende Wahl gewann der trotz gegenteiliger öffentlichen Bekundigungen noch immer seinem ehemaligen Kaiser treue parteilose Paul von Hindenburg, der von den meisten Rechtsparteien, ihnen voran der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) unterstützt wurde. Hindenburg hatte einen wesentlichen Anteil an der Dolchstoßlegende, die er im November 1919 vor einem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung das erste Mal öffentlich dargelegt hatte. Für die Wahl hatte die NSDAP mit Erich Ludendorff ebenfalls einen Kandidaten aufgestellt, der aber mit 1,1% im ersten Wahlgang scheiterte. Hitler, der im selben Jahr seine österreichische Staatsbürgerschaft abgelegt hatte und somit vorerst (bis 1932) als staatenlos firmierte, hatte jedoch zunächst in einigen deutschen Ländern noch öffentliches Redeverbot, das zuletzt 1928 in Preußen aufgehoben wurde, nachdem er nun bekundete die Machtübernahme auf legalem Weg erreichen zu wollen.
1926 konnte sich Hitler auf dem ersten Reichsparteitag der NSDAP in Weimar gegen die Brüder Gregor und Otto Strasser, die den "linken" Parteiflügel anführten, durchsetzen. Fortan setzte er seine Hoffnungen insbesondere in die Wählerschichten des Mittelstandes und der Landbevölkerung, die mit der herrschenden Politik aufgrund wirtschaftlicher Belastungen und entsprechenden Einbußen besonders unzufrieden waren.
Allerdings war die NSDAP bis zur Reichstagswahl von 1930 kaum mehr als eine Splitterpartei, und nur eine von vielen im Reichstag vertretenen völkischen Parteien am politischen rechten Rand. Die lange Zeit größte und einflussreichste unter ihnen, die den völkischen Block anführte, war die DNVP. Bei der Reichstagswahl am 20. Mai 1928 verlor die NSDAP sogar zwei Mandate und kam mit 2,6 % der Wählerstimmen auf nur 12 Sitze im Reichstag.
Nachdem sich die politischen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in Deutschland, die seit 1924 relativ stabil geworden waren, ab Mitte 1929 innerhalb weniger Monate wieder dramatisch verschlechterten, änderte sich die politische Parteienlandschaft in kurzer Zeit zugunsten der ideologischen Pole am linken und rechten "Rand der Gesellschaft", was sich gerade auch auf die NSDAP begünstigend auswirkte.
1929-1933: Krise der Republik - der Weg der NSDAP zur Macht
1929 konnte die NSDAP und Hitler mit dem Volksentscheid über den Young-Plan zur Neuregelung der Reparationszahlungen, dessen Initiator der Pressezar und DNVP-Angehörige Alfred Hugenberg war, wieder auf die politische Bühne zurückkehren. Der Volksentscheid scheiterte, die NSDAP aber hatte mit ihrer Propaganda neue Wählerkreise erreichen können.
In den folgenden Jahren gewann die NSDAP wieder mehr und mehr an Bedeutung. Grund war vor allem die Weltwirtschaftskrise, die auch durch die starken Finanzverflechtungen in Verbindung mit den Reparationszahlungen Deutschlands verstärkt wurde.
Im Kontext der Weltwirtschaftskrise stieg die Arbeitslosigkeit in Deutschland sprunghaft an. So verstärkte sich bei vielen Wählern nun der Ruf nach einem „starken Mann“. Vor diesem Hintergrund gewann die Propaganda der NSDAP innerhalb kurzer Zeit ungeahnte Überzeugungskraft: Hitlers Wahlkampfparole, sein Ziel sei es, die „politischen Parteien aus Deutschland hinweg zu fegen“, stieß nun bei vielen Unzufriedenen, besonders aus der Mittelschicht, auf offene Ohren. Sie trieb ihm viele Wähler zu, nicht nur aus dem völkisch-nationalen, sondern auch dem bürgerlich-konservativen Lager.
Die Nationalsozialisten verstanden es, die Massen durch Großveranstaltungen für sich zu gewinnen, und nutzten modernste Wahlkampfmittel, zum Beispiel die konsequente Emotionalisierung und die Nutzung von Flugzeugen. Hitlers Angriffe richteten sich gegen alles, was mit dem „Weimarer System“ in Verbindung gebracht wurde - vom Parteiensystem, bestehend aus verschiedenen relativ kleinen Parteien und Splitterparteien, bis hin zum eigentlichen demokratisch-parlamentarischen Prinzip.
Im März 1930 zerbrach die von dem Sozialdemokraten Hermann Müller geführte Große Koalition über der Frage einer geringfügigen Beitragserhöhung für die Arbeitslosenversicherung. Reichspräsident Hindenburg ernannte den Zentrumspolitiker Heinrich Brüning zum Kanzler. Mit dem Ernennungsrecht nach Art. 53 WRV war in Verbindung mit dem Notverordnungsrecht nach Art. 48 WRV und dem Parlamentsauflösungsrecht nach Art. 25 ein Präsidialkabinett möglich, also eine Minderheitsregierung, die nur auf das Vertrauen des Präsidenten und dessen Notstandsvollmachten gestützt war. Ein solches Präsidialkabinett wurde unter Brünings Führung etabliert. Zu dieser Entscheidung hatte das Fehlen einer arbeitsfähigen Regierung ebenso beigetragen wie die mangelnde Konsensfähigkeit der Parteien. Dass jedoch tatsächlich alle Verhandlungsspielräume erschöpft waren, wurde bezweifelt. Auch wurden nur die Minister der SPD ausgewechselt, so dass ein vom Präsidenten gewünschter und von den meisten Parteien unterstützter Schwenk nach rechts wahrscheinlich war.
Da das Parlament von dem Recht Gebrauch machen wollte, die Notverordnungen des Präsidenten aufzuheben, löste dieser am 18. Juli 1930 den Reichstag auf. Bei den Wahlen konnte die NSDAP die Zahl ihrer Abgeordneten von 12 auf 107 erhöhen und wurde damit zur zweitstärksten Partei. Jetzt gab es nicht einmal mehr eine Mehrheit für eine Große Koalition im Reichstag, der zunehmend zum Forum für die Agitation rechter und linker Gegner der Republik wurde. In einem Prozess gegen Offiziere der Reichswehr, denen die Verbreitung von nationalsozialistischer Propaganda vorgeworfen wurde, bezeugte Hitler in seinem öffentlichkeitswirksamen Legalitätseid, dass er die Macht „nicht mit illegalen Mitteln“ anstrebe, und trat damit Gerüchten über einen Putsch entgegen. Die NSDAP brauche „noch zwei bis drei Wahlen“, dann werde sie „in der Mehrheit sitzen“ und „den Staat so gestalten, wie wir ihn haben wollen“.
Aber nicht nur der rechte Flügel der Parteienlandschaft erstarkte, sondern auch der extrem linke. Die republik-freundlichen Sozialdemokraten verloren im Gegensatz zu den Liberalen weniger Stimmen, die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) konnte sogar Stimmen gewinnen und wurde zu einer bedeutenden Macht im Parlament und auf der Straße. Denn längst hatte sich der Kampf, ausgehend von den Kampforganisationen der NSDAP (SA und SS) und der KPD (Roter Frontkämpferbund), auf die Straße verlagert, wo sich teilweise bürgerkriegsähnliche Szenen abspielten. Daran hatten selbst die republikanisch gesinnten Kräfte mit einem eigenen Kampfverband, dem sozialdemokratisch dominierten Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Anteil. Auch diese chaotischen Gewaltszenen spielten letztlich – obwohl diese oft dafür verantwortlich waren – den Nationalsozialisten in die Hände, da Hitler immer häufiger als „letzte Karte“ ins Spiel gebracht wurde, der die geordneten Verhältnisse wiederherstellen würde.
Um eine weitere Stärkung der radikalen Flügelparteien zu verhindern, tolerierte die SPD im Reichstag weitgehend die auf Kürzung der Sozialausgaben basierende Deflationspolitik Brünings, welche aber die wirtschaftliche Krise kurzfristig noch verschärfte.
Am 11. Oktober 1931 vereinigte sich auf Initiative der DNVP unter Leitung des Medienzars Alfred Hugenberg die nationalistische Rechte zur Harzburger Front. Als Reaktion bildeten die republiktreuen Organisationen unter dem Fahnensymbol der drei Pfeile die Eiserne Front. Die NSDAP schaffte es, unter anderem mit finanzieller Unterstützung von Großindustriellen wie Fritz Thyssen von den Vereinigten Stahlwerken, Albert Vögler oder Emil Kirdorf vom Rheinisch-Westfälischen Kohlensyndikat, die Stimmung der Bevölkerung durch populäre Parolen gegen den Parlamentarismus aufzugreifen. Am 27. Januar 1932 hielt Hitler einen Vortrag im Düsseldorfer Industrieclub, wo er sowohl das auf Privateigentum gegründete freie Unternehmertum als auch das nationalsozialistische Führerprinzip auf das Leistungsprinzip zurückführte. Die NSDAP konnte so ihre Spendeneinnahmen von der Industrie noch einmal erhöhen. Die Kontakte zwischen NSDAP und Industrie sollten durch zwei Beraterstäbe gefördert werden, durch die vom ehemaligen Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht gegründete „Arbeitsstelle Dr. Schacht“ sowie den vom Chemie-Unternehmer Wilhelm Keppler geleiteten „Industrieausschuss für Wirtschaftsfragen“. Welche Rolle die Großindustrie bis zur Machtübernahme im Einzelnen spielte, ist umstritten. Nach der Machtübernahme versuchte sie, sich die Gunst Hitlers zu sichern.
Nachdem Hitler, der seit 1925 auf eigenes Betreiben staatenlos war, Anfang 1932 die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hatte, nahm er an der Reichspräsidentenwahl 1932 teil. Bezeichnend für die Situation der Republik war, dass keiner der Kandidaten Thälmann, Hitler und Hindenburg ein Demokrat war. Die Parteien der Mitte bis zur SPD unterstützten den Sieger Hindenburg, um einen Erfolg Hitlers zu verhindern. Brüning hatte sich mit seinem Verbot der SA und der Osthilfeverordnung, die von den ostpreußischen Grundbesitzern – zu denen auch Hindenburg gehörte – stark kritisiert wurde, beim Reichspräsidenten in Misskredit gebracht. Hindenburg nahm ihm zudem übel, dass er auf sein Betreiben auch von den Anhängern der SPD zum Reichspräsidenten gewählt worden war. Er entzog ihm sein Vertrauen, und Brüning, der aufgrund seiner Sparpolitik in der Bevölkerung ohnehin kaum Rückhalt besaß, musste zurücktreten. Der Kanzler wurde nach eigenem Bekunden „hundert Meter vor dem Ziel“ gestürzt, da seine Deflationspolitik noch keine Wirkung entfalten konnte. Auch sein Ziel der Gleichberechtigung Deutschlands und der endgültigen Aufhebung der Reparationen hatte er nicht erreicht.
Sein Nachfolger Franz von Papen ersuchte Hindenburg sofort um Auflösung des Parlaments. Er wollte die Unterstützung der Nationalsozialisten und hob dafür das Verbot der SA und der SS wieder auf. Hitler hatte die Wahl zum Reichspräsidenten verloren, aber einen großen Popularitätsanstieg erreicht. Bei der nächsten Reichstagswahl am 31. Juli 1932 erhielt die NSDAP 230 Mandate und war damit die stärkste Fraktion im Reichstag. Dies war das höchste Wahlergebnis der NSDAP bei demokratischen Wahlen. Hitler wollte von Hindenburg zum Kanzler ernannt werden, die angebotene Vizekanzlerschaft lehnte er ab. Da die Kommunisten 89 Mandate errungen hatten, hatten die beiden extremen Flügelparteien eine negative Mehrheit erreicht, die jede parlamentarische Arbeit unmöglich machte. Papen löste den gerade erst gewählten Reichstag nach einem mit großer Mehrheit gegen ihn gerichteten Misstrauensvotum durch eine vorbereitete Order Hindenburgs wieder auf. Bereits am 20. Juli hatte er die Regierung von Preußen abgesetzt, die letzte Bastion der Republik. Als Vorwand für den „Preußenschlag“, der häufig als Staatsstreich bezeichnet wurde, diente das angebliche Versagen der preußischen Polizei am „Altonaer Blutsonntag“, heftigen Straßenkämpfen zwischen Kommunisten und der von Papen wieder erlaubten SA.
Die Neuwahlen vom November des Jahres brachten einen Rückgang der Stimmen für die NSDAP. Die meisten Beobachter interpretierten dies als Anfang vom Ende der NSDAP. Eine regierungsfähige Mehrheit existierte weiterhin nicht. Papen, der inzwischen Konjunkturprogramme gestartet hatte, trat zurück, nachdem ihm klar geworden war, dass er die Unterstützung der Reichswehr bei der Absicherung einer Diktaturregierung nicht besaß. Zudem hatte es der Reichstag aufgrund eines Verfahrensfehlers Papens geschafft, ihm rechtlich wirkungslos, aber öffentlichkeitswirksam das Misstrauen auszusprechen. Aufgrund der fehlenden Unterstützung durch Wehrminister General Kurt von Schleicher, die im Zuge einer militärischen Simulation eines möglichen Aufstandes (des „Planspiels Ott“) sichtbar geworden war, verweigerte Hindenburg die geforderte Auflösung des Reichstags ohne Festsetzung von Neuwahlen. Diese Ausschaltung des Parlaments,
Papens Nachfolger wurde Kurt von Schleicher, der bis dahin im Hintergrund die Fäden gezogen hatte und für Papens Sturz verantwortlich war. Doch auch sein Konzept, einen Ausweg aus der Krise zu finden, scheiterte. Er hatte eine breite „Querfront“ von den Gewerkschaften bis zum linken Flügel der NSDAP um Gregor Strasser erstrebt, Strasser musste aber vor Hitler kapitulieren. Am 28. Januar 1933 musste auch Schleicher zurücktreten, nachdem er zuletzt selbst von Hindenburg erfolglos die Ausrufung des Staatsnotstands gefordert hatte. Schleicher selbst war kein Demokrat, seine Verhältnis zur NSDAP wandelte sich mehrmals, zuletzt empfahl er Hindenburg ein Kabinett unter Hitler (AdR, Dok. Nr. 72 vom 28. Januar 1933).
Schleicher konnte nicht wissen, dass ausgerechnet er, Meister der Intrigen, nun selbst Opfer einer Intrige geworden war: Schon am 4. Januar 1933 hatte sich sein ehemaliger Schützling Franz von Papen mit Hitler zu Geheimverhandlungen im Privathaus des Kölner Bankiers Kurt von Schröder getroffen. Diesem Gespräch folgten weitere, zuletzt auch unter Anwesenheit des Staatssekretärs des Reichspräsidenten, Otto Meißner, und des Sohnes des Reichspräsidenten, Oskar von Hindenburg, beides einflussreiche Berater in der Kamarilla des greisen Paul von Hindenburg. Sie vereinbarten eine Koalitionsregierung aus Deutschnationalen und NSDAP, der außer Hitler nur zwei weitere Nationalsozialisten, nämlich Wilhelm Frick als Innenminister und Hermann Göring als Minister ohne Geschäftsbereich und kommissarischer preußischer Innenminister, angehören sollten. Papen selbst war als Vizekanzler und Reichskommissar für Preußen vorgesehen.
Reichspräsident von Hindenburg, der sich bis zuletzt gegen eine Kanzlerschaft des „böhmischen Gefreiten“ Hitler gesträubt hatte, konnte mit dem Hinweis, dass ein von einer konservativen Kabinettsmehrheit „eingerahmter“ NSDAP-Führer nur eine geringe Gefahr bedeute, beruhigt werden. Ein weiteres zentrales Argument für Hindenburg war die formale Verfassungskonformität der Lösung Hitler. Die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 bedeutete faktisch das Ende der Weimarer Republik ‒ auch wenn die Weimarer Verfassung formal nie außer Kraft gesetzt wurde.
Paul von Hindenburg war in diesen Wochen von allen einflussreichen Lobbyistenverbänden und den Beratern seiner Kamarilla bearbeitet worden (siehe dazu die Artikel zur: Industrielleneingabe (Rolle des Reichsverbandes der Industrie), zum Osthilfeskandal (Rolle des Reichslandbundes)). Inwieweit das seine Entscheidung wirklich beeinflusste, ist schwer zu sagen – Hindenburg hatte zu diesem Zeitpunkt das 86. Lebensjahr erreicht.
Deutschland unter der Herrschaft der NSDAP
Gründe für den Erfolg der NSDAP
Das Ende der Republik und der Erfolg der Nationalsozialisten hatten keine einzelne, sondern eine ganze Reihe von Ursachen, die im Zusammenspiel Hitler an die Macht brachten. Weder das Ende der Republik war von Anfang an unvermeidlich, noch war der Erfolg der NSDAP selbstverständlich, andere Gruppen und Personen, wie Franz von Papen hätten nach dem Ende der Republik gerne einen etwas anderen Weg eingeschlagen.
Die Gründe für das Ende der Weimarer Republik reichen von ihrem Anfang im verlorenen Ersten Weltkrieg bis zu Hitler und der NSDAP, die anders als Papen es schafften, ihren Plan durchzusetzen. Gründe für den Erfolg der NSDAP waren
• ihr vordergründig überzeugendes Weltbild
• die Unterstützung durch einflussreiche und finanzkräftige Wirtschaftsgrößen
• ihr Entstehen in der Ordnungszelle Bayern wo sie gute Unterstützung fand
• ihr 25-Punkte-Programm und Symbolik, mit dem sie auch bisherige Sozialisten anzog
• ihre Fähigkeiten zur Propaganda und zur Agitation
• ihre hemmungslose Gewaltbereitschaft
• die Unterschätzung durch konservative Kreise
• ihre Struktur als sehr gut organisierte Kaderpartei
• das Versprechen an die Bürger ihnen neue Arbeitsplätze zu geben
• nicht zuletzt die Person Adolf Hitlers.
• andere rechte Parteien richteten sich eher an ein begrenztes, vor allem bürgerliches Klientel; die NSDAP aber versuchte, zumal im Zuge der sich verschärfenden Witschaftskrise mit gewissem Erfolg, mit ihrer Propaganda und ihrem Programm Menschen aus allen Schichten anzusprechen.
1933-1934: "Machtergreifung" und Gleichschaltung des Deutschen Reichs
Am 30. Januar 1933 ernannte Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler: Dies markierte das Ende der Weimarer Republik und den Beginn der Diktatur des Nationalsozialismus und wurde von den Nationalsozialisten als Machtergreifung gefeiert. Hindenburg löste den Reichstag auf und setzte Neuwahlen an. Diese Wahlen fanden am 5. März 1933 statt (siehe Reichstagswahl 1933).
Die Gleichschaltung, die Unterwerfung unter die und die Angleichung an die Nationalsozialisten, begann mit der Gleichschaltung der Länder, die alle hoheitlichen Aufgaben verloren, es folgten Parteien, Organisationen, Vereine, Verbände, Gewerkschaften, Medien, Künstler und Justiz. Die NS-Propaganda in allen Lebensbereichen ersetzte die freie Presse und Kultur.
Unterdrückung der eigenen Bevölkerung
In der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutze des Deutschen Volkes am 4. Februar und nach dem Reichstagsbrand am 27. Februar 1933 in der Reichstagsbrandverordnung schränkte Reichspräsident Hindenburg die Grundrechte ein. Die KPD wurde verboten und viele ihrer Mitglieder verhaftet. Der Reichstagsbrand lieferte die Begründung für die Gefangennahme vieler Parlamentsmitglieder. Andere gingen in den Untergrund oder flohen ins Ausland, als die Verhaftungswelle anlief. Am 21. März 1933 inszenierten die Nationalsozialisten den Tag von Potsdam um ihre Machtübernahme in einen preußisch-deutschen Zusammenhang zu setzen und so weiteren Rückhalt in In- und Ausland zu gewinnen. Das so genannte Ermächtigungsgesetz gab am 23. März der Regierung fast uneingeschränkte Gesetzgebungsbefugnisse.
Die „Machtergreifung“ 1933 bis 1935 lief mit einer Mischung von Unterdrückung des linken Parteienspektrums, Einschränkung zunächst der öffentlichen, bald dann auch der beruflich-wirtschaftlichen und sonstigen Betätigungsmöglichkeiten von Juden sowie der Nötigung liberaler und demokratischer Gruppierungen zur immer stärkeren Gleichschaltung fast aller öffentlichen Lebensbereiche zum Führerstaat ab. Sportvereine, die Arbeiterschaft, die Handwerkerschaft, auch Kirchenmitglieder und Geistliche wurden von der "Bewegung" erfasst. Die betroffenen Organisationen ordneten sich oft lieber unter als aufgelöst oder verboten zu werden. Die NSDAP erhielt einen erheblichen Mitgliederzulauf; die neuen Mitglieder wurden von den Altnazis spotthaft als "Märzgefallene" bezeichnet. Innerhalb kurzer Zeit wurden alle politischen Parteien verboten, wenn sie sich nicht selbst auflösten. Bis 1934 wurden die bisherigen Länder, ebenso die Presse, die Gewerkschaften und die Justiz gleichgeschaltet. Vgl. Sopade-SPD im Prager Exil. Eine für manche Berufsfelder bedeutende Emigration setzte ein. In der Nazi-Diktion wurde dies als "Flucht von Systemgegnern" begrüßt. Noch war damit ein Schein an Freiwilligkeit verbunden, der allerdings bei den Arisierungen in den Folgejahren schnell wegfiel.
Das erste Konzentrationslager (KZ) wurde - zunächst noch vor allem für politische Gegner - schon 1933 in Dachau eingerichtet. Dieses und viele weitere im ganzen Reichsgebiet wurdem unter dem Mantel einer Polizeimaßnahme nach außen gerechtfertigt. Anfangs gab es auch noch wilde Konzentrationslager, die später durch ständige KZs ersetzt wurden.
Im April 1933 begann der Boykott jüdischer Geschäfte, mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" die Entfernung jüdischer Beamter aus dem Staatsdienst sowie durch das Verbot jeder öffentlichen Betätigung von Juden deren konsequente Ausschaltung aus dem gesamten öffentlichen Leben. Auch jüdische Hochschullehrer, die als Teilnehmer am Ersten Weltkrieg - "Frontkämpfer" - zunächst nicht entlassen werden konnten, durften keine Vorlesungen mehr halten. Am 10. Mai begannen die Bücherverbrennungen.
Brain Drain mit Gewalt: führende Vertreter der Wissenschaften wie Emmy Noether wurden vertrieben.
Im Juni/Juli 1933 wurden die evangelischen Landeskirchen in einer Reichskirche unter Leitung eines Reichsbischofs zusammengeschlossen. Vor allem die Deutschen Christen propagierten ein "judenreines" Evangelium und waren dem "Führer" ergeben. Dagegen bildete sich im September der Pfarrernotbund, aus dem im Juni 1934 die Bekennende Kirche hervorging. In ihr sammelten sich evangelische Christen, die Übergriffe des Staates auf die Kirche, oft aber nicht den Nationalsozialismus als solchen ablehnten. Nachdem die katholische Kirche die NSDAP entschieden abgelehnt hatte, erkannte sie diese als Regierungspartei an, und der Vatikan schloss mit Deutschland das Reichskonkordat, das die Stellung der katholischen Bischöfe in Deutschland sichern sollte, Hitler aber auch zu internationalem Ansehen verhalf.
In ihrem 25-Punkte-Programm hatte die NSDAP unter anderem die Forderung nach Enteignung und Verstaatlichung von Großbetrieben aufgestellt. Hitler ignorierte diese sozialistische Komponente jedoch, da er die Unterstützung der Großindustrie und der Reichswehr nicht verlieren wollte. Innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung gab es jetzt Meinungsverschiedenheiten über das weitere Vorgehen. Die Sturmabteilung (SA) unter Hitlers Duzfreund Ernst Röhm wollte die Reichswehr übernehmen und trat für eine soziale Umgestaltung der Gesellschaft ein. Dies war mit Hitlers Plänen, für die er die Reichswehr und die Wirtschaft als Partner brauchte, nicht vereinbar. Der Machtkampf wurde 1934 entschieden. Unter Zuraten von Heinrich Himmler, Joseph Goebbels und Hermann Göring ließ Hitler wegen eines angeblichen durch Röhm geplanten Putsches zahlreiche politische Gegner innerhalb der NSDAP, auch Ernst Röhm, ermorden.
Nach Hindenburgs Tod am 2. August 1934 übernahm Hitler nach einem Gesetz, das seine Regierung beschlossen hatte, das Amt des Reichspräsidenten und trug den Titel „Führer (anstelle eines Präsidenten) und Reichskanzler“; durch ein Plebiszit ließ er sein Vorgehen im Nachhinein bestätigen. Der Kriegsminister Werner von Blomberg, der im Konzept der Konservativen zur "Einrahmung" Hitlers eine wichtige Rolle gespielt hatte und von Hindenburg verfassungswidrig vor der Ernennung Hitlers ernannt worden war, ließ die Reichswehr daraufhin auf Hitler persönlich vereidigen. Auch das Berufsbeamtentum musste einen „Führereid“ ablegen, so dass regimekritische Akademiker ihre Ämter verloren.
In der folgenden Zeit wurde das gesamte gesellschaftliche Leben von NS-Organisationen wie Hitler-Jugend, Deutsche Arbeitsfront, Kraft durch Freude (KDF) und Bund Deutscher Mädel (BDM) durchdrungen.
1935-1939: Stabilisierung der Macht, Aufrüstung und Vergrößerung des Reiches
Vorgeschichte des Zweiten Weltkrieges
1935 wurde die Reichswehr mit Einführung der Wehrpflicht in die Wehrmacht umgewandelt und das Saarland wieder ins Deutsche Reich integriert. Der Wiedereingliederung des Saarlands ging dort eine Volksabstimmung voraus, die eine überwältigende Zustimmung zum Deutschen Reich und gegen einen Anschluss an Frankreich ergab.
Auf dem Reichsparteitag der NSDAP wurden die Nürnberger Rassengesetze beschlossen, die die schon 1933 begonnene Ausgrenzung und Isolierung der deutschen Juden begründeten und Rassismus und Antisemitismus als Staatsgesetze verankerten. Heinrich Himmler hielt vor SS-Mitgliedern 1935 seine Rede Der Untermensch, in der er den angeblichen Gräueltaten der Juden die guten und großen Kulturtaten der Menschen gegenüberstellte.
1936 marschierte die Wehrmacht in das entmilitarisierte Rheinland ein und brach damit wie bei der Einführung der Wehrpflicht den Versailler Vertrag.
Im August fanden in Berlin die Olympischen Spiele statt, die Hitler als Propagandabühne für die Weltöffentlichkeit nutzte. Der Vierjahresplan von 1936 sollte das Deutsche Reich bis spätestens 1940 kriegsbereit machen. Das Regime unterstützte nun zusammen mit Mussolinis Italien den faschistischen General Franco im Spanischen Bürgerkrieg gegen die dortige Republik auch militärisch. Die Legion Condor der deutschen Luftwaffe zerstörte 1937 bei einem Flächenbombardement die baskische Stadt Guernica. Der spanische Bürgerkrieg bot Hitler die Gelegenheit, die Einsatzfähigkeit seines Militärs im Kriegsfall zu testen. In einer Besprechung, deren Inhalt in der Hoßbach-Niederschrift festgehalten ist, stellte Hitler am 5. November 1937 den wichtigsten Vertretern der Wehrmacht und dem Außenminister seine Planungen zur deutschen Kriegs- und Außenpolitik vor.
Am 20. Februar 1938 verkündete Hitler in einer Rede sein Ziel, alle Deutschen Mitteleuropas in einem Staat zu vereinen. Am 12. März 1938 kam Hitler einer beabsichtigten Volksabstimmung in Österreich zuvor und verkündete nach dem Einmarsch der Wehrmacht unter dem Jubel der auf dem Heldenplatz versammelten Wiener den "Eintritt meiner Heimat in das Deutsche Reich". Ein weiteres vor allem von Deutschen bewohntes Gebiet außerhalb des Reiches war das tschechische Sudetenland. Durch das praktisch unerfüllbare Karlsbader Programm provozierte Hitler die Sudetenkrise, die am 29. September 1938 im Münchner Abkommen zur Angliederung des Sudetenlandes an das Deutsche Reich führte. Hitler hatte beabsichtigt, die Krise für den Beginn eines Krieges zu nutzen und war von Mussolini, Göring und Abdegu zum Abkommen gedrängt worden, das er als politische Niederlage empfand.
Nach dem Anschlag auf Ernst Eduard vom Rath am 7. November 1938 in Paris inszenierten die Nationalsozialisten die Novemberpogrome. Zum Teil als Zivilpersonen auftretende ortsbekannte SA- und SS-Angehörige legten in zahlreichen Synagogen Feuer, misshandelten und ermordeten viele deutsche Juden vor den Augen der Polizei, die befehlsgemäß nicht einschritt, und deportierten ab dem 10. November Zehntausende Juden in die KZs.
Eine Namensänderungsverordnung des Innenministeriums zwang Deutsche jüdischen Glaubens seit dem 1. Januar 1939, zusätzlich einen in der Richtlinie als zulässig definierten jüdischen Vornamen - Israel für Männer, Sara für Frauen - bei Rechtsgeschäften zu führen.
Mitte März 1939 wurde die Slowakei als selbständiger Staat ausgerufen. Das danach von der ehemaligen Tschechoslowakischen Republik verbliebene Gebiet wurde als Protektorat Böhmen und Mähren vom Deutschen Reich abhängig. Eine Woche später wurde auch das Memelland dem Deutschen Reich angegliedert.
Um sich den Rücken für seine Expansionsziele im Osten freizuhalten, schloss Hitler mit der Sowjetunion im August 1939 den Deutsch-sowjetischen Nichtangriffspakt. In dessen geheimem Zusatzprotokoll wurde Polen für den Fall eines Krieges zwischen den beiden Staaten aufgeteilt. Dagegen versprach Hitler, nicht gegen Stalin zu agieren, falls dieser sich Finnlands bemächtige, was er anschließend auch tat.
1939-1942: erste Hälfte des Zweiten Weltkrieges [Bearbeiten]
Der Einfall der Wehrmacht in Polen am 1. September 1939 löste den Zweiten Weltkrieg aus. Am 3. September erklärten zunächst Großbritannien und Frankreich dem Deutschen Reich den Krieg. Nach dem Sieg der Wehrmacht über Polen wurde dessen Westteil (Großpolen, Westpreußen, Oberschlesien) von Deutschland annektiert und die Mitte zum Generalgouvernement erklärt. Am 17. September besetzte die Rote Armee fast kampflos Ostpolen; Polen wurde wie im Hitler-Stalin-Pakt vereinbart aufgeteilt.
Nur wenige Monate nach Beginn des Krieges, am 8. November 1939 verübte der Einzelkämpfer Johann Georg Elser ein Bombenattentat auf Hitler während einer NS-Propagandaveranstaltung im Münchner Bürgerbräukeller, das aber scheiterte, weil Hitler wenige Minuten vor der Explosion sofort nach seiner Rede den Saal verließ. Elser wurde beim Versuch, in die Schweiz zu gelangen, noch vor der Bombenexplosion gefasst. Er wurde interniert und kurz vor Ende des Krieges im April 1945 im KZ Dachau ermordet.
Im so genannten "Blitzkrieg" überrannte die Wehrmacht förmlich die Staaten Dänemark, Norwegen und die Beneluxstaaten; Frankreich wurde 1940 besiegt. Hitlers Popularität war durch die „Auslöschung der Schande von Versailles” auf ihrem Höhepunkt. Die geplante Invasion Großbritanniens misslang, da die deutsche Luftwaffe in der Luftschlacht um England trotz massiver Bombardierung englischer Städte nicht die Lufthoheit über England erringen konnte.
1940/41 besetzte die Wehrmacht mit dem faschistischen Italien, Jugoslawien und Griechenland. Beide Länder wurden unter den verbündeten Diktaturen aufgeteilt. Ihrer Eroberung folgte jedoch ein zermürbender Partisanenkrieg. Ungarn, Rumänien und Bulgarien wurden als Verbündete des Großdeutschen Reiches gewonnen. Mit Italien kämpfte die Wehrmacht - auf Bitten Mussolinis - seit Januar 1941 auch in Nordafrika.
Am 22. Juni marschierte die Wehrmacht in den sowjetisch besetzten Teil Polens ein und überfiel unmittelbar danach die Sowjetunion selbst. In dem als Vernichtungsfeldzug geplanten "Unternehmen Barbarossa" drang die Wehrmacht bis Moskau, Leningrad und Stalingrad vor.
Die besetzten Gebiete im Osten wurden systematisch ausgeplündert: Sämtliche Nahrungsmittel wurden der dortigen Bevölkerung entzogen und für die Wehrmacht und das Deutsche Reich verwendet. Auf diese Weise konnte sich die Wehrmacht vor Ort versorgen und waren nicht auf Nahrungsmittellieferungen aus dem Deutschen Reich angewiesen. Hungersnöte bei der Bevölkerung in den besetzten Gebieten waren einkalkuliert und beabsichtigt, da sie gemäß NS-Ideologie nur "Untermenschen" darstellten.
Die jüdische Bevölkerung in den besetzten Gebieten wurde erfasst und in Konzentrationslager deportiert, ihr Eigentum wurde enteignet und zu Reichseigentum erklärt. Auf diese Weise standen den Besatzungstruppen finanzielle Mittel in Landeswährung zur Verfügung.
1942-1945: zweite Hälfte des Zweiten Weltkrieges [Bearbeiten]
Im Winter 1941/42 geriet die Offensive der Wehrmacht in Russland ins Stocken. In der Schlacht um Stalingrad musste sie durch Fehlentscheidungen Hitlers ihre erste (kriegsentscheidende) Niederlage hinnehmen. Am 11. Dezember 1941 erklärte Hitler, nach dem Angriff des deutschen Verbündeten Japans auf den amerikanischen Stützpunkt Pearl Harbor, den USA den Krieg, die Großbritannien mit Gütern versorgten. Bis Ende 1943 konnte die rote Armee der Sowjetunion, die auch von den USA mit Waffenlieferungen unterstützt wurde, weite Gebiete zurückerobern. Am 13. Mai 1943 mussten die Achsenmächte in Nordafrika kapitulieren.
Inzwischen war der Holocaust, der von langer Hand geplante Völkermord an den Juden, im Gang. Seit 1939 mussten die polnischen Juden im Generalgouvernement, seit September 1941 auch die deutschen Juden den sogenannten Judenstern tragen. Nach Entrechtung, Enteignung, Ghettoisierung und Massenerschießungen an jüdischen Zivilisten in den eroberten Ostgebieten wurde im Januar 1942 auf der Wannseekonferenz die so genannte "Endlösung der Judenfrage" beschlossen. In zu diesem Zweck errichteten Vernichtungslagern im Osten Europas (Auschwitz, Treblinka oder Majdanek) wurden bis Kriegsende 6 Millionen Menschen ermordet. In den Vernichtungslagern wurden neben Juden auch andere von Nationalsozialisten als "Untermenschen" qualifizierte Menschen, insbesondere Polen, Sinti und Roma, sowie Russen, ermordet. Verfolgt und umgebracht wurden auch viele Homosexuelle, Intellektuelle, sowie Menschen mit Behinderungen.
Schon vor dem Völkermord an den Juden in seiner industrialisierten Form hatten die Nationalsozialisten bei der sogenannten Aktion T4 im Rahmen ihres "Euthanasieprogramms" der "Vernichtung lebensunwerten Lebens" die Methode der Vergasung von größeren Menschengruppen in den Jahren zwischen 1939 und 1941 getestet. Diesem "Programm" waren etwa 100.000 geistig, psychisch und körperlich behinderte Menschen in mehreren deutschen Behindertenanstalten zum Opfer gefallen. Der mutige öffentliche Einsatz des katholischen Bischofs von Münster Clemens August Graf von Galen gegen die Ermordung der Behinderten hatte schließlich zur Einstellung des NS-Euthanasieprogramms geführt.
1943 begann der Bombenkrieg der Alliierten auf deutsche Städte, bei dem etwa 300.000 Zivilisten ums Leben kamen. Am 18. Februar 1943 verkündete Goebbels in der Sportpalastrede den "Totalen Krieg". Ab Ende 1944 flohen viele Deutsche aus ihrer angestammten Heimat im Osten vor der anrückenden Roten Armee. 1944 eroberte diese weite Teile von Südosteuropa. Am 6. Juni begann die Invasion der westlichen Alliierten in der Normandie, nachdem sie schon zuvor nach der Landung auf Sizilien von Süden her Italien eroberten und gegen Hitler-Deutschland im Vormarsch waren. Am 20. Juli scheiterte ein Attentat und ein Putschversuch von Wehrmachtsangehörigen und Mitgliedern der Widerstandsgruppe des "Kreisauer Kreises" gegen Hitler.
Anfang 1945 beschlossen die Alliierten auf der Konferenz von Jalta die Aufteilung des Reiches nach dem Krieg. Um den Alliierten keine brauchbare Infrastruktur zu hinterlassen erteilte Hitler am 19. März 1945 den Nerobefehl, der aber nur teilweise ausgeführt wurde. Im April erreichten die sowjetischen Truppen die Reichshauptstadt und es kam zur Schlacht um Berlin. Hitler tötete sich am 30. April im Bunker der Reichskanzlei, nachdem er testamentarisch Admiral Karl Dönitz zu seinem Nachfolger als Reichspräsident und Oberbefehlshaber der Wehrmacht bestimmt hatte. Neben Hitler töteten sich in der Folge auch andere führende Funktionäre, so Joseph Goebbels und Heinrich Himmler. In den frühen Morgenstunden des 7. Mai 1945 schließlich unterzeichnete Generaloberst Jodl – von Dönitz hierzu autorisiert – die bedingungslose Gesamtkapitulation der deutschen Wehrmacht, die durch Unterzeichnung einer weiteren Kapitulationsurkunde ratifiziert am nächsten Tag in Kraft treten sollte.
Der Zweite Weltkrieg dauerte in Südostasien noch bis zum 12. August an. Er forderte insgesamt etwa 60 Millionen Tote.
In den letzten Kriegsmonaten und im Anschluss an die Besetzung des Reichs wurden die meisten noch verbliebenen Deutschen aus Osteuropa vertrieben.
Wahrnehmung des Nationalsozialismus im öffentlichen Bewusstsein (1930er Jahre) [Bearbeiten]
Die Wahrnehmung der NS-Führung wurde im wesentlichen in zwei Sparten festgestellt: In der Außenpolitik und in der Innenpolitik. Nachfolgend eine stichpunktartige Aufzählung der markanten außenpolitischen Maßnahmen oder Effekte:
• Die Rücknahme des Vertrags von Versailles, aber gleichzeitig Friedensbeteuerungen von Hitler. Dies wurde vom Ausland sogar geglaubt. Denn es herrschte allgemeine Kriegsmüdigkeit, als Resultat des Ersten Weltkrieges.
• Zur damaligen Zeit herrschten in vergleichsweise vielen europäischen Staaten (z.T. faschistische) Diktaturen, Beispiele sind Italien, Spanien. In Polen herrschte seit 1926 ein autoritäres präsidiales Regime, das jedoch nicht als faschistisch eingestuft werden kann. Auch diese Staaten genossen zum Teil die Sympathien der demokratischen Staaten.
Innenpolitisch gab es auch einige Veränderungen:
• Vordergründige Erfolge in der Wirtschaft (vor allem durch hohe Investitionen in Infrastruktur und in die Wehrmacht)
• Frauen wurden aus dem Arbeitsleben verdrängt, um Arbeitsplätze für Männer zu schaffen. ("Die Welt der Frau ist das Heim")
• Es wurde ein Pflichtdienstjahr für Frauen ohne Ausbildung eingeführt, um diese auf die Ehe vorzubereiten.
• Frauen, die eine Ehe schlossen wurden finanziell unterstützt
• Die Abtreibung stand während des Nationalsozialismus ab 1943 unter Todesstrafe, bereits seit 1941 wurde die Produktion von Verhütungsmitteln verboten.
• Das gesamte Wirtschaftsleben begründete sich auf den Mechanismus von Zwang und Anreiz (Zuckerbrot und Peitsche) Ein Beispiel dafür ist die Organisation Kraft durch Freude, sie ermöglichte es jedem Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen Urlaub zu machen.
Den Nationalsozialisten gelang es auch, die öffentliche Meinung durch ihre Propaganda positiv zu beeinflussen. Ein frühes Beispiel stellt der Tag von Potsdam dar, mit dem sie sich in die preußisch-deutsche Tradition stellen wollten.
Freiwillige Unterordnung, Kontrolle und Unterdrückung der Bevölkerung
Die Mittel der Nationalsozialisten zur Machtsicherung waren Propaganda, Personenkult um Hitler und populistische Maßnahmen auf der einen Seite, Überwachung und Unterdrückung auf der anderen. Ein nicht unbedeutender Teil der Bevölkerung stimmte den Maßnahmen der NSDAP zu, ein weiterer Teil passte sich an, um ihr eigenes Leben ungestört führen zu können. Die Bevölkerung wurde durch Massenorganisationen wie die Hitler-Jugend, den Bund Deutscher Mädel, die Deutsche Arbeitsfront und Kraft durch Freude in fast allen Bereichen des Lebens erfasst und geschult, der Nationalsozialismus war, zum Beispiel durch den Hitlergruß überall präsent.
Des Weiteren sicherte sich das Regime die Unterstützung der Bevölkerung durch mehrere soziale Maßnahmen:
• Schuldenbereinigungsgesetz (Schuldnerschutz größer als Gläubigerschutz)
• 1933 1. Mai als Tag der Arbeit gesetzlicher Feiertag
• 1934 Steuerreform
• Verdopplung der Zahl der Urlaubstage
• 1940 Abschaffung der Steuern auf Zuschläge für Sonn-, Feiertags- und Nachtarbeit
• 1941 Integration der Rentner in die Krankenkasse
• 1941 15-prozentige Erhöhung der Renten
Wegen der vielen Sympathisanten und Denunzianten, die dem Unterdrückungsapparat viele Hinweise gaben, wo er seine Agenten einsetzen musste, reichte dem Unterdrückungsapparat aus Gestapo, SS, SD und Sicherheitspolizei auch ein relativ kleiner Apparat. Die Gestapo, die vor allem für die Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen zuständig war, hatte 32.000 Mitarbeiter. (Zum Vergleich: Das Ministerium für Staatssicherheit der DDR verfügte über 91.000 hauptamtliche und über 100.000 inoffizielle Mitarbeiter bei einer um ein Vielfaches kleineren Bevölkerung.) Ein nicht unbedeutender Teil der Denunziationen verfolgte bei seinen Hinweisen auch private Interessen, was den Behörden nicht unbekannt war.
Widerstand gegen den Nationalsozialismus
Schon vor der Machtübernahme begann der erfolglose Widerstand verschiedenster Gruppen gegen die Nationalsozialisten. In der Zeit des Nationalsozialismus selbst beschränkte sich der Widerstand, der immer mit Lebensgefahr verbunden war, auf eine verschwindend kleine Minderheit der deutschen Bevölkerung, wohingegen dieser Widerstand in den im Zweiten Weltkrieg besetzten Gebieten, beispielsweise im Partisanenkrieg, größere Ausmaße annahm.
Im Reich konnte beispielsweise der katholische Bischof von Münster und Kardinal Clemens August Graf von Galen durch seine öffentliche Verurteilung der Morde an den Behinderten dazu beitragen, dass die Aktion T 4 von den Nationalsozialisten eingestellt wurde. Einzelpersonen der evangelischen Bekennenden Kirche wie etwa Pastor Martin Niemöller oder Dietrich Bonhoeffer schlossen sich nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges Widerstandskreisen an. Bonhoeffer musste wie viele andere NS-Gegner seinen Mut im KZ mit dem Leben bezahlen. Der kommunistische Einzelkämpfer Georg Elser verübte am 8. November 1939 im Münchner Bürgerbräukeller ein Bombenattentat auf Hitler, das dieser aber überlebte, weil er den Saal unerwartet kurz vor der mit einem Zeitzünder eingestellten Detonation der Bombe verließ. Elser wurde bald gefasst und im April 1945 im KZ Dachau ermordet. Die Münchner studentische Widerstandsgruppe Weiße Rose um die Geschwister Hans und Sophie Scholl rief in mehreren Flugblättern zum Widerstand gegen das NS-Regime auf. Außerdem suchte diese Gruppe Kontakt zu Widerstandskreisen in der Wehrmacht. Die bedeutendsten Mitglieder der Gruppe wurden Im Februar 1943 gefasst und vom Volksgerichtshof unter dem Vorsitz des berüchtigten Richters Roland Freisler zum Tode verurteilt und kurze Zeit später hingerichtet. Im Kölner Raum traten die Edelweißpiraten auf, einige Gruppen von aus der bündischen und kommunistischen Tradition kommenden Jugendlichen, die sich zunächst gegen die Uniformität der Hitlerjugend wandten, im Lauf des Krieges aber auch zu konkreten Widerstandsaktionen übergingen, die bis hin zu Sabotageakten reichten. Die Widerstandsgruppe Rote Kapelle bestand aus verschiedenen unabhängigen Gruppen, die auf mehreren Ebenen gegen das Regime arbeitete.
Der vereinzelt und vergleichsweise selten vorkommende Widerstand von Privatpersonen, der sich eher im Stillen abspielte, entsprang oft einer moralischen Abscheu gegen die Taten des Regimes oder aus Mitleid mit den Opfern. Er reichte von der Verweigerung des Hitlergrußes bis hin zur verbotenen Versorgung mit Lebensmitteln für Zwangsarbeiter oder dem Verstecken von Verfolgten, meist Juden.
Hitler überlebte mehrere Anschläge, so zum Beispiel das bis heute bekannteste Attentat vom 20. Juli 1944, der von Mitgliedern der Wehrmacht und der Widerstandsgruppe Kreisauer Kreis, in dem sich ehemalige bürgerliche Politiker und Militärs verschiedener politischer Ausrichtung (von Sozialdemokraten bis zu Monarchisten) gesammelt hatten, organisiert wurde. Im Anschluss an das Attentat, das von Oberst Claus Schenk Graf von Stauffenberg durchgeführt wurde, kam es in Berlin in der „Operation Walküre“ zu einem Putschversuch, der aber nach dem Bekanntwerden von Hitlers Überleben schnell in sich zusammen fiel und niedergeschlagen wurde. Die unmittelbaren Akteure des Putschversuchs, hauptsächlich Mitglieder der Wehrmacht, unter ihnen auch Stauffenberg selbst, wurden noch vor Ort standgerichtlich zum Tode verurteilt und erschossen. Nach der Aktion kam es im Zuge der Ermittlungen zur Entdeckung von Umsturzplänen aus dem Jahr 1938. Bis zum Kriegsende wurden zunächst in Schauprozessen, später unter geringer Beteiligung der Öffentlichkeit, über 200 Personen im Zusammenhang mit dem Attentat vom 20. Juli hingerichtet. Mehreren populären Generälen (u.a. Erwin Rommel, Günther von Kluge), die in den Verdacht der Mitwisserschaft gerieten, wurde der Ehrensuizid nahegelegt.
Wichtige exekutive Instanzen der Verfolgung vor allem des innerdeutschen Widerstands waren die Gestapo (Kürzel für Geheime Staatspolizei) und der Volksgerichtshof.
Widerstand leisteten auch, in Deutschland oder im Exil, Künstler wie der kritische Schriftsteller und Dramatiker Bertolt Brecht und andere, die sich mit ihren Mitteln - meist publizistisch, gegen das NS-Regime wandten.
Neben dem Widerstand in Deutschland entstanden nach Kriegsbeginn auch in den besetzten Gebieten Widerstandsgruppen wie zum Beispiel die Polnische Heimatarmee oder die Résistance in Frankreich. Sie lieferten den Deutschen unter deren Besatzung erbitterten Widerstand im Partisanenkrieg, der vor allem in den Balkanstaaten Jugoslawien, Albanien und Griechenland sowie in Polen (Warschauer Aufstand ) besonders effektiv war, allerdings auch äußerst grausame Vergeltungsaktionen der deutschen Besatzer nach sich zog - wie etwa massenhafte Geiselerschießungen von Zivilisten. Insbesondere im besetzten Polen wurde sehr häufig wahllos die Bevölkerung ganzer Dörfer und Städte als Vergeltungsakte für geleisteten Widerstand ermordet.
Von den Alliierten wurde der Widerstand in Deutschland, selbst, anders als der in den besetzten Gebieten, so gut wie nicht unterstützt, vielmehr führte das alliierte Kriegsziel der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands zu einer indirekten Solidarisierung mit der Führung und ließ auch nach einem Staatsstreich kaum günstigere Friedensbedingungen erwarten.
Vernichtung der Juden und anderer Bevölkerungsgruppen
Der Holocaust, der systematische Völkermord an etwa 6 Millionen Juden und so genannten "Judenmischlingen" sowie weiteren bei den Machthabern als „lebensunwert“, „rassisch minderwertig“ oder politisch unerwünscht geltenden Bevölkerungsgruppen, gilt als größtes Verbrechen der Nationalsozialisten. Der Großteil der Opfer wurde in industriell betriebenen Vernichtungslagern ermordet; in den ersten Kriegsjahren vor deren Errichtung gab es Massenerschießungen (z.B. in Babij Jar), oder es wurden LKWs mit eingebauten Gaskammern benutzt. Hiermit sollte auch die Effektivität des Einsatzes von Giftgas getestet werden, um die Tötungen rationeller betreiben zu können und mögliche moralische Skrupel der Mörder, wie sie bei Erschießungen für eher wahrscheinlich erachtet wurden, zu minimieren. Vor allem jüngere Männer starben auch bei der unmenschlich harten Zwangsarbeit.
Außer den Juden wurden Sinti und Roma, Zigeuner, Homosexuelle und Zeugen Jehovas ebenfalls als „unerwünscht“, „lebensunwert“ oder „rassisch minderwertig“ angesehen, bei ihnen kamen die gleichen Tötungsmethoden zum Einsatz.
Eine andere Opfergruppe waren die Behinderten, deren Ermordung auch mit Rassenhygiene und nach Kriegsbeginn mit der Freimachung von Lazarettplätzen begründet und verschleiernd als „Euthanasie“ bezeichnet wurde. Deren Ermordung fand im Wesentlichen bereits 1939 - 1940 in 7 Schritten statt: Meldepflicht und Erfassung, Begutachtung mit Einordnung in drei Kategorien: (1 - "keine weiteren Maßnahmen", 2. – Beobachtung hieß die Einweisung in eine psychiatrische Pflegeanstalt - Tötung vorbehalten, 3. - "Behandlung", das hieß Tötung. Wesentliches Kriterium für die Aufnahme in die Todeslisten war die Arbeitsunfähigkeit); Aufbau von Fachabteilungen bzw. Umbau von Anstalten zu Tötungseinrichtungen reichsweit an ca. 30 Orten; Transport (Gemeinnützige Kranken Transport GmbH - "Gekrat"); massenhafte Ermordung; Verbrennung der Leichen; Ausstellung falscher Todesbescheinigungen. Nach den Räumlichkeiten der Zentralverwaltung der Aktion (Reichsarbeitsgemeinschaft Heil- und Pflegeanstalten, Gemeinnützige Stiftung für Anstaltspflege – auch kurz "Stiftung") in Berlin-Charlottenburg, Tiergartenstr. 4, benannt hieß dies auch "Aktion T4". Die Täter in dieser Aktion wurden direkt danach als Spezialisten in die Todesfabriken im „Osten“ geschickt (Vernichtungslager).
Im Krieg wurden auch polnische Intellektuelle, russische Kriegsgefangene und andere, überwiegend slawische, Volksgruppen massenhaft umgebracht. Grund für die Morde war die Rassenideologie, die Hitler schon in den 1920er Jahren in „Mein Kampf“ dargelegt hatte. Demnach seien die Deutschen Angehörige einer „arischen“ „Herrenrasse“, die ihren Fortbestand durch Unterwerfung, Versklavung oder Ausrottung anderer „Rassen“, die „Reinhaltung der arischen Rasse“ sowie die Eroberung von Lebensraum im Osten sichern sollte.
Die planmäßige Vernichtung der Juden unter der Herrschaft der NSDAP, auch als Holocaust oder Shoa bezeichnet, ist beispiellos in der Geschichte und kostete etwa 6 Millionen Juden das Leben, von denen über 3 Millionen polnische Juden waren. Seinen Antisemitismus, der mit den anderen rassistischen, sozialdarwinistischen und chauvinistischen Elementen eine der Hauptgrundlagen des Nationalsozialismus war, und das Ziel der totalen Vernichtung des „Weltjudentums“ hatte Hitler schon in Mein Kampf und seinen Reden in den 1920er Jahren zum Ausdruck gebracht. Die Entrechtung und Verfolgung der Juden begann direkt nach der „Machtergreifung“. Das erste Konzentrationslager wurde - zunächst noch vor allem für politische Gegner - schon 1933 in Dachau eingerichtet. Durch einen Arierparagraphen wurden „Nicht-Arier“ zuerst aus dem öffentlichen Dienst entfernt, dieser Paragraph wurde auf immer mehr Bereiche ausgedehnt und auch von Vereinen, Verbänden und anderen Gruppierungen übernommen. 1938 begannen die Arisierungen, Juden mussten entweder Israel oder Sara ihrem Vornamen hinzufügen und am 9. November 1938 wurden in der „Reichspogromnacht" Juden misshandelt und ermordet.
Mit dem Kriegsbeginn wurden auch die Juden in den besetzten Gebieten verfolgt. Sie wurden in Ghettos zusammengefasst. Massenerschießungen an jüdischen Zivilisten durch "Einsatzgruppen" direkt hinter der vorwärts marschierenen Front fanden zentral geplant statt. Auf der Wannseekonferenz am 20. Januar 1942 wurden von führenden Verwaltungsgrößen des NS-Regimes geheim die Weichen für die sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ gestellt. Mit den dort gefassten Beschlüssen wurde der direkt hinter der Front schon begonnene Völkermord an den europäischen Juden auf eine gemeinsame organisatorische Basis gestellt und die Ermordung auf industrieller Grundlage mit Hilfe von Massenvergasungen für die Nationalsozialisten „effizienter“ geregelt. Die Verwertung des Eigentums der vernichteten Juden wurde bis ins Detail geregelt.
Die NS-Herrscher versuchten die Vorgänge möglichst geheim zu halten, sie benutzten Euphemismen wie Umsiedlung oder Sonderbehandlung. Die Deutschen waren nicht direkt über die Vernichtung der Juden informiert, wussten aber genug, um auch nicht nachzufragen. Das spurlose Verschwinden von hunderten von Menschen aus der Nachbarschaft konnte keine natürliche Erklärung haben. Das Wort "du kommst sonst ins KZ" war seit 1933 ein Drohwort für fast jeden. Gerüchte über die Lager "im Osten" kamen mit den Fronturlaubern praktisch in jedes Dorf, alliierte Rundfunksender, die trotz Verbot gehört wurden, meldeten Massenmorde. Der polnische Geheimdienst lieferte den Briten bereits 1942 den Beweis für den Massenmord in Auschwitz.
Trotz des verbreiteten Antisemitismus wurden Gewalttaten von den meisten abgelehnt. Die ständigen Angriffe gegen jüdische Bevölkerungsteile seit April 1933 wurden zum Teil passiv akzeptiert, aber auch von den Nutznießern begrüßt. Enteignungsartige "Arisierungen" selbst kleinster Geschäfte oder Betriebe hatten immer Nutznießer und geschahen vor den Augen der örtlichen Bevölkerung. Angesichts der Mittäterschaft oder Gleichgültigkeit der deutschen Bevölkerungsmehrheit sind die seltenen Taten jener nichtjüdischen Deutschen umso mehr zu beachten, die Juden halfen zu überleben. Der heute wohl bekannteste Vertreter dieser kleinen Gruppe war Oskar Schindler, der rund 1.200 jüdische Zwangsarbeiter aus Krakau vor der Ermordung bewahrte. Oft waren es überzeugte Christen, die auf diese Weise Widerstand gegen den anscheinend allmächtigen Staatsapparat leisteten.
In den Nürnberger Prozessen wurden nur führende Personen unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschheit und Kriegsverbrecher verurteilt, eine wirkliche Aufarbeitung der Verbrechen der Nationalsozialisten fand aber lange nicht statt und begann in Westdeutschland erst in den späten 1950ern und beginnenden 1960ern. Noch immer gab es damals und gibt es heute Personen, die den Holocaust leugnen.
Zwangsarbeiter und Beutekinder
Hunderttausende Menschen aus den besetzten Gebieten, insbesondere aus Polen und der Sowjetunion, wurden ins Reichsgebiet als Zwangsarbeiter entführt. Viele von ihnen überlebten den Zweiten Weltkrieg nicht. Daneben wurden zehntausende polnische Kinder, die die "rassischen Merkmale" erfüllten, ihren Familien weggenommen und nach Deutschland deportiert, von denen die wenigsten nach dem Krieg zu ihren Eltern zurückkehren konnten. Andere, die die rassischen Merkmale nicht erfüllten, wurden massenhaft in Konzentrationslagern ermordet. Der bekannteste Fall dürfte der der Deportation zehntausender Kinder aus der Gegend um Zamosc - in der Deutsche aus dem Baltikum und Bessarabien angesiedelt wurden - nach Auschwitz sein.
Religion
Die Religion, für welche die NS-Herrschaft die größten Auswirkungen hatte, war die jüdische. Juden wurden diskriminiert, entrechtet, enteignet und ermordet. Eine weitere verfolgte Religionsgruppe waren die Bibelforscher.
Die beiden großen christlichen Konfessionen in Deutschland gingen unterschiedliche Wege. Ein Teil der evangelischen Christen gehörte zur Gruppierung der Deutschen Christen und unterstützte den Nationalsozialismus. Auf der Gegenseite entstand aus dem Pfarrernotbund die Bekennende Kirche, die gegen die Gleichschaltung kämpfte und beispielsweise den Ariernachweis für Angestellte der Kirche ablehnte.
Die katholische Kirche distanzierte sich bis zur Machtübernahme stark von der NSDAP, eine Mitgliedschaft in der NSDAP galt für Katholiken als unvereinbar mit dem Glauben. Um den kirchlichen Raum vor den befürchteten Zugriffen des totalitären Regimes zu schützen, schloss der Papst am 20. Juli 1933 überraschend das Reichskonkordat mit den neuen Machthabern. Hitler verbuchte den Abschluss des Konkordats als Erfolg; er verschaffte sich dadurch auf diplomatischer Bühne internationales Ansehen. Die Hoffnung der Kirche, damit ihre Arbeit und die Priester dauerhaft zu schützen, erfüllte sich nicht. Papst Pius' XII. Enzyklika Mit brennender Sorge prangerte 1937 den von den Nationalsozialisten nicht erfüllten Teil der Abmachungen gegenüber der katholischen Kirche und allgemein deren Lehre und Verhalten gegenüber Glaube, Christentum, der Kirche und deren Mitgliedern an. Die Enzyklika befasste sich nicht direkt mit der systematischen Entrechtung der Juden oder anderer Religions- und Bevölkerungsgruppen, eine Unterscheidung nach Rassen wird aber verurteilt.
Der Nationalsozialismus hatte auch eigene religiöse Elemente, vor allem die Verherrlichung des fast als gottgleich angesehenen Führers Adolf Hitler. Der "Partei-Philosoph" Alfred Rosenberg wollte nach dem "Endsieg" durch "Gegenpäpste" die katholische und die evangelische Kirche in einander bekämpfende Gruppen spalten und versuchte, die altgermanische, persische und indische Religion wiederzubeleben, um "der vergehenden biblischen Tradition eine noch ältere und bessere unterzuschieben", wie er sagte. Der Privatsekretär Hitlers, Martin Bormann, arbeitete einen nationalsozialistischen "Katechismus" aus, deren Lehren allmählich die Zehn Gebote des Christentums ersetzen sollten. Reichsführer-SS Heinrich Himmler hatte sehr weitreichende Vorstellungen über die Einführung eines altgermanisch-heidnischen Götterglaubens und über die "Befriedung" der slawischen Völker durch die Lehre der Ernsten Bibelforscher.
Reichswehr und Wehrmacht
Mit der Reichswehr übernahmen die Nationalsozialisten die Streitkräfte der Weimarer Republik. Die Reichswehr war staatstreu und unterstützte die NSDAP bis zur Machtübernahme nicht aktiv, viele Soldaten waren aber selbst keine Anhänger der Republik, so dass sie diese auch nicht verteidigten. Die Reichswehr hoffte unter Hitler auch auf einen Fortschritt bei der Revision des Versailler Vertrages, die Führung der Reichswehr war schon am 3. Februar über die Pläne Hitlers informiert worden, Befürchtungen hatte sie gegenüber der SA. Bestrebungen innerhalb der SA die Reichswehr zu übernehmen, beendete Hitler durch die Niederschlagung des so genannten Röhm-Putsches, bei dem er die SA ausschaltete, da er die Reichswehr als für den Krieg besser geeignet ansah. An dieser Aktion war auch die Reichswehr beteiligt, sie tolerierte sogar die Ermordung zweier ihrer Generäle.
Am 3. August wurde die Reichswehr nach dem Tod des bisherigen Oberbefehlshabers, Reichspräsident von Hindenburg, auf die Person Hitlers vereidigt und damit zu einem Instrument Hitlers. Mit der Wiedereinführung der Wehrpflicht am 16. März 1935 wurde die Reichswehr in Wehrmacht umbenannt. Die Reichswehr wurde ausgebaut und modernisiert, 1939 hatte sie eine Stärke von 2,75 Millionen Mann.
Den Widerstand innerhalb der Wehrmachtsführung gegen seine Kriegspläne, mehr aus Zweifel an der Machbarkeit der Pläne als aus ideologischen Gründen, schaltete er durch die Fritsch-Blomberg-Affäre aus und schuf das Oberkommando der Wehrmacht. Der weiter vorhandene Widerstand konnte sich, insbesondere nach den ersten Kriegserfolgen, nicht durchsetzen. Die Wehrmacht tolerierte den Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion, Teile der Wehrmacht waren auch an Exekutionen beteiligt. Erst als Deutschland Niederlagen wie Stalingrad hinnehmen musste versuchten Mitglieder der Wehrmacht im Attentat vom 20. Juli 1944 durch eine Beseitigung Hitlers ein Ende des Krieges zu erreichen.
Wirtschaft
Die Wirtschaft spielte eine wichtige Rolle für die Machtübernahme und die Ziele Hitlers. Eine Gruppe von Industriellen, darunter der Reichsbankpräsident und spätere Wirtschaftsminister Hjalmar Schacht, richteten 1932 eine Petition an Reichspräsident Hindenburg, in der sie die Ernennung Hitlers zum Reichskanzler forderten. Außerdem erhielt Hitler von einigen Industriellen vor und insbesondere nach der Machtergreifung Spenden, z.B. die Adolf-Hitler-Spende der deutschen Wirtschaft. Eine generelle Unterstützung Hitlers durch die ganze Industrie oder massive Spenden vor der Machtergreifung sowie eine direkte Verbindung von Kapitalismus und Faschismus gibt es aber nicht. Für den Erfolg Hitlers war die allgemeine Zustimmung der Bevölkerung aufgrund der ökonomischer Stabilität des Deutschen Reiches wichtig, auch während des gesamten Verlaufs des Krieges.
Eine der dringendsten Aufgaben Hitlers nach der Machtübernahme war die Überwindung der Wirtschaftskrise, die ihm zur Erringung der Macht verholfen hatte, ihn bei einem Misserfolg aber auch gefährdet hätte. Dies erreichte er vor allem durch deficit spending, also mit Krediten (den Mefo-Wechseln) finanzierten Konjunkturprogrammen und Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, auch das Ende der Reparationszahlungen noch während der Weimarer Republik begann zu wirken und die erste Besserung der Konjunktur hatte es schon vor Hitler gegeben. Mit der Abkehr von der deflatorischen Politik Brünings, waren entgegen weitverbreiteter Meinung bereits unter den vorhergehenden Regierungen Franz von Papen und Kurt von Schleicher Maßnahmen zur Konjunkturbelebung eingeleitet worden, die nicht in erster Linie der Kriegsvorbereitung dienten, wie der Bau der Autobahnen. Kriegsvorbereitung spielten zunächst für die Öffentlichkeit keine große Rolle bei der Belebung der Konjunktur. Augenscheinlicher waren beispielsweise eher bevölkerungspolitische gedachte Maßnahmen, wie Ehestandsdarlehen. Dabei wurden einem Paar bei der Heirat ein Darlehen von tausend Reichsmark angeboten, wenn die Frau dabei dauerhaft aus dem Berufsleben ausschiede. Eine Rolle spielten auch diktatorische Schritte, wie die Abschaffung der Gewerkschaften oder die Ermordung von Ernst Röhm, der eine soziale Revolution nach dem Programm der NSDAP forderte.
Eine wichtige Maßnahme war die Erzeugungsschlacht in der Landwirtschaft. Im September 1933 wurden alle landwirtschaftlichen Betriebe, Genossenschaften und Landwirtschaftskammern im Reichsnährstand zwangsvereinigt. Der Nährstand wurde verherrlicht und als Quelle der rassischen Erneuerung populiert, in der Realität verlor er aber an Bedeutung. Der durchschnittliche Lohn in der Landwirtschaft fiel stetig und der Anteil der in der Landwirtschaft Beschäftigten fiel ebenfalls ab. Auch die Industrie sollte unabhängiger vom Ausland werden, so dass die Gewinnung einheimischer Rohstoffe verstärkt wurde. Die Einrichtung des Reichsarbeitsdienstes verbindet hierbei den propagandistischen Zweck, kurzfristig augenscheinlich die jugendlichen Arbeitslosen "von der Straße zu holen" mit dem Autarkiebestreben, neue landwirtschaftliche Flächen durch z.B. Trockenlegung von Mooren und Sümpfen zu gewinnen.
Mit dem Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit wurde am 20. April 1934 auch in den Unternehmen das Führerprinzip eingeführt. In der Betriebsgemeinschaft war der Betriebsführer für seine „Gefolgschaft“ verantwortlich; diese war ihm zu Treue verpflichtet. Um wichtige Industrielle an die Wehrmacht zu binden, wurden sie zu Wehrwirtschaftsführern ernannt. Treuhänder der Arbeit kontrollierten schon seit Mai 1933 die Betriebe und sorgten für die Gleichschaltung der Wirtschaft, sie regelten auch den Erlass der Tarifordnungen.
Zu einer Erhöhung des Lebensstandards kam es für die meisten Berufstätigen nicht, da bald die Rüstung Priorität erhielt. So mussten z.B. eine verdeckte Inflation, Einschränkungen bei der Berufswahl, beider freien Wahl des Arbeitsplatzes und eine Verlängerung der Arbeitszeiten akzeptiert werden. Das Wachstum basierte auf Planwirtschaft und diente der systematischen Aufrüstung und Kriegsvorbereitung. Mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" vom 7. April 1933, der Entlassung von jüdischen Beamten und Richtern aufgrund des "Arierparagraphen", der bald auf Ärzte und Apotheker, Anwälte und Journalisten, Universitätsprofessoren und Künstler ausgedehnt wird und der Arisierung von Betrieben, Vermögensgegenständen, Wohnungen und Mobiliar kam eine gigantische Arbeitsplatz- und Vermögensumverteilung in Gang, von der bald auch solche Deutsche profitierten, die während der Weltwirtschaftskrise nicht arbeitslos geworden waren.
Drei Tage vor dem auf 1. September 1939 festgelegten Angriff auf Polen, dem Beginn des Zweiten Weltkriegs wurde mit der Verteilung von Lebensmittelkarten begonnen. Bald wurden Kriegsgefangene und immer mehr verschleppte Zivilisten als Zwangsarbeiter eingesetzt; bei Kriegsende waren es ca. 9 Millionen. Da die Männer im Krieg gebraucht wurden, arbeiteten in den Fabriken, im Widerspruch zu den Aussagen von Mein Kampf, immer mehr Frauen. Erst nach den ersten Niederlagen gegen die Sowjetunion und dem Kriegseintritt der USA Ende 1941 kam es zu einer deutlichen Umstellung hin zur Kriegswirtschaft, der totale Krieg mit dem Ziel der vollen Ausnützung des wirtschaftlichen und personellen Potenzials für die Kriegsführung wurde erst am 18. Februar 1943 von Joseph Goebbels ausgerufen.
Am Ende des Krieges brach die Industrie durch die Bombardierung der Infrastruktur (Eisenbahn) und Industrieanlagen und die fehlende Rohstoffversorgung zusammen, die Versorgung mit Lebensmitteln wurde problematisch, der Schwarzmarkt blühte auf. Zu einer allmählichen Erholung kam es erst mit den Darlehen des Marshallplans und der Währungsreform.
siehe auch: IG Farben
Sozialpolitik und Gesellschaft
Die gesellschaftspolitischen Maßnahmen der Nationalsozialisten dienten dazu, die Menschen zu "erfassen" und sie in Organisationen wie dem Jungvolk, der Hitlerjugend, der Reichswehr oder dem Reichsarbeitsdienst zu beeinflussen. Schon für die Kleinkinder gab es nationalsozialistische Kindergärten mit ausgebildeten Erziehern, für uneheliche oder überzählige Kinder gab es die Einrichtung Lebensborn, wo sie in staatlichen Heimen erzogen wurden.
Die einzelnen Berufe wurden in nationalsozialistischen Organisationen zusammengefasst, so zum Beispiel dem Deutschen Kraftfahrerbund, dem Reichslehrerbund oder dem Deutschen Ärztebund.
Auch die Freizeit wurde "organisiert". Reisen, Ferienlager und sonstige Veranstaltungen der Organisation Kraft durch Freude sollten die Leute für den Nationalsozialismus einnehmen.
Die sozialen Leistungen, wie zum Beispiel die Ausweitung der Sozialversicherungen, die Einbeziehung der Rentner in die Krankenversicherung, staatliche Darlehen für Hausbauer, Einführung von Kindergeld, Konzertaufführungen in Betrieben, Maßnahmen des Arbeitsschutzes und Arbeitspausen, dienten vor allem der Überzeugung und Gewinnung der Leute sowie der Stärkung der Arbeitskraft. Der Führer des Reichsarbeitsdienstes, Robert Ley, verglich den Berufstätigen mit einer "Maschine, die von Zeit zu Zeit überholt werden muss", damit sie gut arbeiten kann.
Natürlich galten all diese sozialen Leistungen nur für "Volksgenossen". Juden, "Mischlinge", Sinti und Roma, Angehörige der besetzten Völker, körperlich oder geistig Behinderte sowie "Asoziale" blieben davon ausgeschlossen.
Kunst und Kultur
Das kulturelle Leben war geprägt von der Politik und diente propagandistischen Zwecken. Die meisten Werke entstanden von regimekonformen Künstlern und dienten der Propaganda oder vermittelten zumindest die Auffassungen der Nationalsozialisten. So wurde häufig eine von der modernen Technik unberührte landwirtschaftliche Idylle oder auch germanische Götter dargestellt.
Die Bildende Kunst war antimodernistisch und folgte einem Konzept des Realismus des 19. Jahrhunderts, in dem beispielsweise heroisch überzeichnete Motive oder solche von kleinbürgerlicher Idylle im Vordergrund standen. Pathetische Darstellungen im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie verklärten die landwirtschaftliche Arbeit (Blut und Boden-Ideologie), Mutterschaft oder den Krieg. In der Bildhauerei und der Architektur standen monumentale Darstellungen, die sich wesentlich am Klassizismus orientierten, oft im Vordergrund.
Moderne Kunst, wie beispielsweise Bilder aus den Bereichen Neue Sachlichkeit oder aus dem Expressionismus wurden als "entartet" verbrannt; die Schöpfer der Werke verfolgt.

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Samstag, 19. August 2006
Vom Antisemitismus zum Nationalsozialismus
Nationalismus bezeichnet eine politische Ideologie, die auf eine Kongruenz zwischen einer (meist ethnisch definierten) Nation und einem Staatsgebilde abzielt (Gellner, 1983). Das Nationalgefühl des Einzelnen gilt als gefühlsmäßige Bindung an die Idee der Nation und setzt nicht zwingend einen Staat voraus. In der Umgangssprache wird unter Nationalismus oft die Überhöhung der eigenen Nation verstanden. Dem entgegen steht der weniger politische als romantisch-emotionale Patriotismus, der anderen Nationen den gleichen Patriotismus zubilligt, und sich als Einsatzbereitschaft für die Werte und Symbole eines Landes versteht, jedoch auch in N. münden kann (Brockhaus, 2004).

Noch 1880 belegte der Begriff „Antisemitismus“ vor allem eine parteipolitische Zielsetzung gegen einen vermeintlich übergroßen jüdischen Einfluss. Nach Darwins Tod 1882 wurden dessen Theorien jedoch immer stärker rassistisch umgedeutet. So forderte z.B. Paul de Lagarde in Juden und Indogermanen 1887 die Einheit von „Rasse und Volk“ unter Ausschluss des Judentums. Er beklagte, dass in Berlin mehr Juden lebten als in Palästina, und forderte, „dies wuchernde Ungeziefer zu zertreten":[25]
Mit Trichinen und Bacillen wird nicht verhandelt, Trichinen und Bacillen werden auch nicht erzogen, sie werden so rasch und so gründlich wie möglich vernichtet.
Man redete nun von der „Zersetzungskraft jüdischen Blutes“ und wandte sich gegen die „Vermischung“ der „Rassen“, um so eine Radikallösung nahezulegen. Nun wurden auch „Halb“- oder „Viertel“-Juden zum Judentum gezählt, während die „arische Rasse“ immer stärker zur einheitsstiftenden Idee wurde. Deren „Notwehr“ gegen die Juden wurde als eine Art Naturgesetz dargestellt. Damit wurde das Recht des Stärkeren gegenüber Natur- und Menschenrecht deterministisch legitimiert.
1899 forderte der Brite Houston Stewart Chamberlain – ein Schwiegersohn Richard Wagners – in seinem Buch Die Grundlagen des 19. Jahrhunderts als Erster die „Reinheit der arischen Rasse“ gegen „Vermischung“. Das Buch las Kaiser Wilhelm II. persönlich seinen Kindern vor und empfahl es als Lehrstoff für die Kadettenschulen. – 1914 gingen die beiden Antisemiten-Parteien in der Deutschvölkischen Partei (DVP) des Kaiserreichs auf. Deren Hamburger Programm forderte die „völlige Absonderung“ und zuletzt die unabwendbare „Vernichtung“ der Juden als „Weltfrage“ des 20. Jahrhunderts.
Zunächst überlagerte der Erste Weltkrieg die innenpolitischen Fronten und band alle Deutschen in vermeintlich patriotische Pflichten ein. Etwa 100.000 Juden meldeten sich auf Drängen ihrer Vereine freiwillig zum deutschen Militärdienst. Dies schmälerte die Popularität judenfeindlicher Propaganda nicht. 1916 reagierte der Kriegsminister Hohenborn mit der Judenzählung auf verstärkte Hetze, Juden seien Drückeberger, die sich häufiger krank meldeten an der Front als Nichtjuden. Als die statistische Erhebung im Gegenteil einen höheren Anteil nichtjüdischer Dienstverweigerer ergab, hielt der Minister sie unter Verschluss.
Die antisemitische Propaganda ging jedoch kaum vermindert weiter: Artur Dinter schrieb 1917 den Bestseller Die Sünde wider das Blut. Darin zeigte er, wie sehr antisemitische Stereotypen auch mit körperlichen Zuschreibungen verbunden waren. Als Herausgeber eines „judenreinen“ Neuen Testaments für die antisemitische Geistchristliche Religionsgemeinschaft (1927) wurde er zum Ideengeber der späteren Deutschen Christen.
Als die Novemberrevolution 1918 das Kriegsende und die Flucht des Kaiser erzwang, traten die ungelösten sozialen Gegensätze offen hervor, die der Krieg nur verschärft hatte. In der Nachkriegsnot nahm der Antisemitismus neuen Aufschwung. Offiziere und große Teile des Bürgertums lasteten ihre Niederlage und die Auflagen des Versailler Vertrags den „jüdischen“ Führern der Arbeiterbewegung an. Sie erweiterten das Feindbild der „jüdischen Weltverschwörung“: Der „jüdisch-bolschewistische“ Revolutionär sei dem „im Felde unbesiegten" Heer heimtückisch in den Rücken gefallen. Er trachte danach, Deutschland zu versklaven und alle kulturellen Werte der Nation zu vernichten. Dabei verwies man auf jüdische Namen unter führenden russischen wie deutschen Revolutionären während der Räterepubliken. Diese Propaganda fand durch die 1919 auf Deutsch veröffentlichten Protokolle der Weisen von Zion neue Nahrung.
Republikfeindliche Antisemiten fanden sich nun in mehreren rechtsextremen und bürgerlich-konservativen Parteien, vor allem in der DNVP. Die Deutsche Burschenschaft z.B. beschloss 1921 die Ausgrenzung ihrer jüdischen Mitglieder. Nach einer von einigen Medien unterstützten Hetzkampagne ermordeten paramilitärische Geheimbünde wie die Organisation Consul Symbolfiguren ihres Judenhasses, darunter 1922 Außenminister Walther Rathenau. Der gestürzte Wilhelm II. selbst forderte die „Ausrottung“ der Juden. Diese antidemokratische Ablehnung der „Judenrepublik" im reaktionären Bürgertum war nach Ansicht vieler Historiker eine entscheidende Weichenstellung und Zuspitzung, die den Siegeszug des Nationalsozialismus vorbereitete.
Für den Weltkriegsgefreiten Adolf Hitler war die Revolution 1918 das „Schlüsselerlebnis“ für seine Hinwendung zur Politik. Wie die meisten Nationalisten empfand er sie als „Dolchstoß“ von „jüdischen Verrätern“. Den Antisemitismus hatte er nach eigener Aussage schon in seiner Jugend vom Wiener Bürgermeister und Publizisten Karl Lueger übernommen. In einem als bestelltes „Gutachten" deklarierten Brief vom 16. September 1919 schrieb er seine Haltung zur „Judenfrage“ nieder:[26]
Der Antisemitismus aus rein gefühlsmäßigen Gründen wird seinen letzten Ausdruck finden in der Form von Pogromen. Der Antisemitismus der Vernunft jedoch muß führen zur planmäßigen gesetzlichen Bekämpfung und Beseitigung der Vorrechte der Juden, die er zum Unterschied der anderen zwischen uns lebenden Fremden besitzt (Fremdengesetzgebung). Sein letztes Ziel aber muß unverrückbar die Entfernung der Juden überhaupt sein.
Der Hitlerputsch in München 1923 reagierte ausdrücklich auf den dortigen Versuch der Räterepublik 1918/19. 1924 schrieb Hitler in der Festungshaft seine Autobiographie Mein Kampf: Darin bekannte er sich offen zum Programm des Antisemitismus und kündete seine Strategie an, es politisch und militärisch durchzusetzen, um die Vernichtung aller Juden zu erreichen. Sogar den Gasmord deutete er bereits an: eine Idee, die er aus seinen Fronterfahrungen mit chemischen Massenvernichtungsmitteln gewann. Er sah darin eine Art Mission zur Befreiung der Menschheit vom angeblichen Weltjudentum, auf dessen Verschwörung gegen die „arische Herrenrasse" er den angloamerikanischen Kapitalismus und russischen Bolschewismus gleichermaßen zurückführte.
Für diese Ziele fand sich jedoch längst vor Gründung der NSDAP ein aufnahmebereites Umfeld: Große Teile der deutschen Studenten- und Akademikerschaft huldigten ungebrochen dem Antisemitismus der Kaiserzeit. Mit der Propagierung der „nationalen Revolution“ wurden viele Studentenverbindungen zum Steigbügelhalter des Nationalsozialistischen Deutschen Studentenbunds (NSDStB). Mit diesem Schlagwort fanden preußische Konservative, bürgerliche Monarchisten, Staatsbegeisterte und Volkstumsverehrer ihren gemeinsamen faschistischen Nenner.
Nach den Reichstagswahlen 1928, bei denen die NSDAP nur 2,6 Prozent der Stimmen erhielt, wurden alle Parteigliederungen angewiesen, die antisemitische Propaganda zu vermindern, da diese vor allem in bürgerlichen Kreisen abschreckend wirkte. Stattdessen setzte die Partei nun vor allem auf außenpolitische Themen wie den Young-Plan und die sozialen Folgen der Weltwirtschaftskrise.
Sofort nach der Machtergreifung am 30. Januar 1933 verfolgten die Nationalsozialisten aber wieder ihr altes antisemitisches Programm von 1920, die Juden aus der deutschen Gesellschaft zu verdrängen.

Diese Politik zielte zuerst auf die Vertreibung aller deutschen Juden. In nie zuvor gekannter Schärfe und Konsequenz führten die Maßnahmen des NS-Regimes über Geschäftsboykotte, Berufsverbote, Emigrationsdruck, die Nürnberger Rassengesetze, die „Reichskristallnacht“, „Arisierung“, Ghettoisierung bis zur Planung und Durchführung der „Endlösung der Judenfrage“. Seit 1939 kündete Hitler offen diese „Vernichtung der jüdischen Rasse in Europa“ an; im Herbst 1941 wurde sie begonnen. Allein diese industriell organisierte Massenvernichtung – im jüdischen Selbstverständnis Shoa („Unheil, Katastrophe“) genannt – forderte um die sechs Millionen Opfer.
Auch Osteuropäer, besonders Russen und Polen, wurden als „Slawen“ rassistisch abgewertet und massenhaft Opfer der deutschen Arbeits- und Vernichtungslager und der Zwangsarbeit; doch zielte diese Politik anders als bei den Juden nicht auf ihre völlige Vernichtung. Zwar wandten sich die Nationalsozialisten in einem Dekret vom Mai 1943 vom Begriff „Antisemitismus“ ab: Ihr Ideologe Alfred Rosenberg gab eine neue Sprachregelung vor, um den neugewonnenen arabischen Verbündeten gegenüber nicht den Eindruck zu erwecken, man „werfe Araber mit den Juden in einen Topf“. Doch der Judenmord ging unvermindert weiter und wurde sogar noch intensiviert, als mit der verlorenen Schlacht um Stalingrad und dem Kriegseintritt der USA die Kriegsniederlage feststand.
Das deutsche NS-Regime steht daher für die unerreicht mörderische Umsetzung einer von Beginn an menschenverachtenden Ideologie.

Nach herrschender Meinung ist Nationalismus ein Phänomen der Moderne. Ein früher, damals zunächst voluntaristischer, moderner Nationenbegriff bildete sich in der Französischen Revolution heraus. Im 19. Jahrhundert wurde jedoch nationalistische Mythenbildung betrieben, um die neugeschaffenen Nationen als Traditionsgemeinschaften zu verankern (Vorreiter dieser Mythenbildungen waren in Deutschland vor allem Herder und Fichte, in Italien Mazzini).

Vor dem 18. Jahrhundert wich der Begriff der Nation so stark von modernen Vorstellungen ab, dass „vormoderner“ Nationalismus vermutlich lediglich eine Projektion aus heute omnipräsenter (Billig, 1995) nationalistischer Perspektive ist. Vor der Herausbildung moderner Nationen standen nach Auffassung modernistischer Theoretiker andere, meist persönliche Bindungen (beispielsweise an den Lehnsherren) im Zentrum der meisten Gruppenzugehörigkeiten.

Tatsächlich sind quasi-nationalstaatliche Instititutionen eine Grundvoraussetzung zur Entstehung einer über den Personenverband hinausgehenden nationalen Identität. Im Nationalismus wird die vormals personengebundene Loyalität (Königtum etc.) in einer abstrakten überpersonalen Ebene verallgemeinert. Ein persönlicher Umgang miteinander, wie er in einer Dorfgemeinschaft oder am Fürstenhof alltäglich war, wurde nun auch auf Personen projiziert, die nicht in direktem Kontakt miteinander stehen konnten. Unter Bezugnahme auf vermeintliche oder tatsächliche Gemeinsamkeiten in Geschichte, Sprache und Kultur, die in vielen Fällen - wie zum Beispiel durch die Normierung der deutschen Sprache in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts - erst während der Nationsbildung entstanden sind, wurde eine nationale Gemeinschaft konstitutiert. Diese Gemeinschaft reproduziert sich zum Beispiel durch nationalstaatliche Instititutionen (Behörden, Schulen etc.) selbst.

In Europa bekam der Nationalismus einen erheblichen Schub durch die Ideen der Französischen Revolution. In ihrer Folge wurde die Idee der Volkssouveränität populär, welche sowohl einen demokratischen als auch einen nationalen Ansatz hat. Die in ihrer Folge entstehende Theoriebildung mit zahlreicher Literatur darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Nationalismus auch ohne theoretische Begriffsbildung bereits bestand.

Als im Volke populär und den konservativen Kräften der Restauration entgegenstehend zeigten sich die national und demokratisch gesonnenen Bewegungen der Revolutionen von 1848/1849. Beginnend mit der französischen Februarrevolution sprang der Funke auf fast ganz Europa über, auch auf die Fürstentümer des Deutschen Bundes, darunter die Monarchien Preußen und Österreich als dessen mächtigste Staaten (Märzrevolution).

In den geschichtlichen Vordergrund getreten sind letztlich aber die nationalen Antagonismen, die nach dem rasanten technischen Fortschritt des 19. und 20. Jahrhunderts. zu den verheerenden Ergebnissen moderner Kriegsführung mit Millionen von Toten führten.

Aber auch der Zerfall von Machtstrukturen führt zum Ausbrechen nationalistischer Bestrebungen, etwa beim Zusammenbruch der Kolonialreiche in der Folge des Zweiten Weltkrieges. Die nach Unabhängigkeit strebenden ehemaligen Kolonialvölker erreichten zum Teil in blutigen Befreiungskriegen ihre Selbständigkeit. Dabei griffen sie auf die bereits bekannten Prinzipien des Nationalismus zurück und setzten dessen emanzipatorisches Element, verbunden mit einem politischen Gleichheitsversprechen gegenüber allen zur Nation zählenden Menschen ein, um den Kolonialismus zu delegitimieren.

Hier zeigt sich wieder sein Doppelcharakter: Inklusion und Exklusion sind elementare Bestandteile des Nationalismus. Während einerseits die politische Gleichheit der in einer Nation vereinten Gruppe betont wird, erfolgt gleichzeitig der Ausschluss der nicht zur Nation gehörigen Gruppen. Dies kann von einer kommunikativen Betonung der Andersartigkeit dieser Ausgeschlossenen bis zu ihrem physischen Ausschluss (ethnische Säuberung) oder ihrer Vernichtung führen (Holocaust).

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Antisemitismus
Antisemitismus (auch: Anti-Semitismus) ist eine moderne Form allgemeiner Judenfeindlichkeit, die seit dem Ende des 18. Jahrhunderts auftritt und nicht mehr primär mit dem Christentum, sondern mit Nationalismus, Sozialdarwinismus und Rassismus begründet wird.
Antisemiten betrachten Juden pseudowissenschaftlich als geschlossene Abstammungseinheit mit negativen Eigenschaften, die angeblich erblich und somit auch durch einen Religionswechsel nicht zu verändern seien. Sie zählen daher auch getaufte Juden und ihre Nachfahren zu einer Minderheit, die sie für eine Vielzahl tatsächlich oder vermeintlich negativer Entwicklungen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur verantwortlich machen.
Diese Ideologie reagierte oft in Form einer Verschwörungstheorie auf europäische Moderne und Aufklärung und war zugleich eines ihrer Krisensymptome. Sie verband sich mit unterschiedlichen antiaufklärerischen, antidemokratischen, antikapitalistischen und antisozialistischen Zielen. Antisemitische Parteien forderten die Vertreibung und Vernichtung der europäischen Juden und bereiteten damit den Holocaust durch den Nationalsozialismus mit vor. Für dessen Weltanschauung und Programmatik war der Antisemitismus zentral.

Geschichte in Deutschland
Soziale Situation und Berufstruktur der jüdischen Minderheit
Die Juden bildeten um 1800 in den meisten Ländern Mitteleuropas die größte nichtchristliche Minderheit. Sie gehörten überwiegend zur Unterschicht, da ihnen die „ehrbaren“ Berufe verschlossen waren. Bereits seit dem Mittelalter waren ihnen Grunderwerb und Ackerbau, die Mitgliedschaft in Handwerkszünften und Kaufmannsgilden sowie der Aufstieg in den Adel verboten. Rechtlich galten sie im Römisch-deutschen Reich als Kammerknechte des Kaisers, der seine Herrschaftsrechte über sie, das so genannte Judenregal, im Laufe der Zeit an die Landesherren abtrat. Die Juden mussten diesen hohe Abgaben und Steuern leisten, wurden in den größeren Städten des Reichs in Ghettos gedrängt und waren immer wieder von Pogromen und dem Verlust ihrer materiellen Existenz bedroht. Schon die blutigen Massaker der Kreuzzüge hatten den jüdischen Fernhandel beendet. Der ihnen aufgrund des Zinsverbots für Christen zugewiesene Geldverleih wurde ihnen großenteils im Zusammenhang mit den Judenpogromen zur Zeit der Pest 1348-1350 wieder entzogen.
In der Frühen Neuzeit waren Judengemeinden zum Spielball der Interessenkämpfe zwischen Landesherren, Städten und Zünften geworden. Ein nichtjüdisches Kreditwesen war entstanden, Naturalabgaben waren durch Geldabgaben ersetzt worden und der Fernhandel hatte sich seit der Entdeckung Amerikas vom Mittelmeerraum zum Atlantik verlagert. So blieben ihnen nur bestimmte Nischen als Berufsbereiche, in denen sie zudem mit Nichtjuden konkurrieren mussten: das nicht-zünftige Handwerk, der Kramhandel, die Pfandleihe, das Kleinkredit-Gewerbe, Brauwesen und Schankwirtschaften, Hausierergeschäft und reisender Landhandel. Dort, wo sie zeitweise eine gehobene und für den Adel unentbehrliche Stellung als Zoll- und Steuerneinnehmer, Gutspächter, Holz- und Pferdehändler erreichten, z.B. im Polen des 16. Jahrhunderts, wurden sie später vom Kleinadel und aufstrebenden christlichen Bürgertum verdrängt. Nur eine sehr kleine Schicht von weniger als zwei Prozent erreichte den Status von wohlhabenden und geachteten „Hofjuden“ oder Ärzten mit hoher Bedeutung für ihre christlichen Herren. Die Masse lebte in „Judendörfern“ oder „Judengassen“ in religiöser, rechtlicher und ökonomischer Absonderung. Ihre Begegnungen mit der übrigen Bevölkerung beschränkten sich weitgehend auf Tauschgeschäfte und Märkte.
Einige Großstädte wie Frankfurt am Main hatten noch größere Judenghettos, die meisten jedoch hatten die Juden bis etwa 1670 aufs Land vertrieben. Rechtsunsicherheit und ständige Gefährdung begleiteten Judengemeinden auch im 18. Jahrhundert, als die Aufklärung ihre Gesellschaftsposition neu zu bewerten begann. Aus unterschiedlichen Gründen, vielfach aus Konkurrenz zu anderen bedrückten Ständen und städtischen Kaufleuten oder wegen Versorgungskrisen, vertrieb man oft - besonders mittel- und arbeitslose - Juden: z.B. 1745 aus Prag, 1750 aus Breslau, 1772 bis 1790 aus dem Bezirk Dresden. Dort, wo sie geduldet wurden, wurden ihre Niederlassung, Gewerbe und Heiratsmöglichkeiten vielfach beschränkt. Das Recht zur Ansiedlung war von einem Mindestvermögen abhängig. „Schutzbriefe“ von Landesherren, die sie aufnahmen, mussten mit hohen Sondersteuern bezahlt werden und galten nur befristet.
Hinzu kam seit etwa 1780 eine starke Westwanderung von meist verarmten Juden aus Osteuropa. Deren Vorfahren waren während der großen Pogromwellen des Mittelalters dorthin geflohen; nun trieb die restriktive Judenpolitik in Polen, Litauen, Russland und der Ukraine sie wieder westwärts. 1804 verfügte ein Statut, dass die Juden des Zarenreichs nur noch in bestimmten Grenzgebieten siedeln durften; in den Folgejahren wurden etwa 230.000 russische Dorfjuden ausgewiesen oder zwangsumgesiedelt. Ihr Zustrom verschärfte die Lage in mitteleuropäischen Regionen. Obwohl willkürliche Vertreibungen um 1800 weithin als Unrecht galten, nahmen Judenausweisungen von 1800 bis 1848 auch in Preußen zu. Die Folge war eine stetige Abnahme, Verkleinerung und Verelendung der verbliebenen Judengemeinden. Dies verstärkte wiederum das negative Außenbild von ihnen, das sich etwa in den Legenden vom heimatlos durch die Zeiten wandernden Ewigen Juden spiegelte.[2]
1820 lebten im deutschsprachigen Raum etwa 220.000 Juden. Diese Zahl wuchs bis zur Reichsgründung 1871 auf 380.000, bis 1900 auf 500.000 und erreichte um 1930 mit 570.000 ihr Maximum. Davon waren etwa ein Fünftel ausländischer Herkunft. Hier handelte es sich meist um zugewanderte „Ostjuden" aus Polen, dem Baltikum und Russland. Der Anteil von Juden an der deutschen Gesamtbevölkerung blieb jedoch konstant bei 1,2 bis 1,3 Prozent und sank seit 1890 auf ein Prozent ab. Aber große Anteile davon - um 1885: 30, um 1910: 60 Prozent - konzentrierten sich in den Großstädten, besonders Berlin mit 126.000 Juden um 1905. Besonders Ostjuden bewohnten oft aufgrund sprachlicher und sozialer Barrieren eigene Stadtviertel oder Enklaven und waren dadurch deutlich als Minderheit sichtbar.[3]
Die Berufsstruktur wandelte sich stark im Lauf des 19. Jahrhunderts: Lebten um 1800 noch die weitaus meisten Juden von Not- und Kleinhandel, so fiel dieser Anteil bis 1907 auf unter zehn Prozent. 62 Prozent aller Juden arbeiteten nun im Warenhandel und Verkehrswesen (gegenüber 13 Prozent der übrigen Deutschen), 27 Prozent in Handwerk und Industrie, acht Prozent bei öffentlichen und privaten Dienstleistern, 1,6 Prozent in Land- und Forstwirtschaft. Es gab also nach wie vor fast keine jüdischen Bauern und wenige Industriearbeiter, aber viele Warenhändler. Auch der Anteil der Freiberufe - seit dem preußischen Erziehungsgesetz von 1833 als Wendung der Juden zu „Wissenschaften und Künsten" gefördert - wuchs unter Juden überdurchschnittlich. Der Wohlstand vor allem städtischer Juden wuchs schneller als der der übrigen Deutschen, was Werner Sombart 1910 an ihren Steuerzahlungen nachwies. Auch die Zahl der von Juden geführten Großunternehmen und Banken wuchs bis 1914 an.[4]
Die seit Jahrhunderten vorgegebenen Diskriminierungs- und Ausgrenzungsmuster hatten sich immer auch auf reale soziale Unterschiede und Reibungsflächen bezogen. So konnten Juden besonders in langfristig unbegriffenen ökonomischen Umbrüchen und Krisen verstärkt als Ursache von Spannungen wahrgenommen und fixiert werden. Nicht zufällig fielen die Wellen des sich verstärkenden Antisemitismus z.B. 1819, 1873, 1879ff, 1918-24 und 1930ff zeitlich mit Wirtschaftskrisen zusammen.[5]
Aufklärung
Naturwissenschaftlicher Fortschritt und Humanismus veränderten seit dem Westfälischen Frieden von 1648 allmählich die Einstellung zur jüdischen Minderheit. Aus Rationalismus und Naturrecht leitete aufgeklärte Philosophie die politische und gesellschaftliche Gleichberechtigung aller Bürger ab. Vorbedingung bzw. Ziel war für sie die Überwindung des religiösen Aberglaubens. Der Antijudaismus galt den Gebildeten nun als irrational; aber auch sein Gegenpart, der „Judaismus", galt als überholte und hinderliche Unvernunft. Schon die englischen Deisten im 17. Jahrhundert bekämpften das Judentum wegen seines Offenbarungs- und Wunderglaubens, um so zugleich das orthodoxe Christentum zu unterhöhlen. Damit drängte das aufstrebende Bürgertum den kirchlichen Einfluss auf die Gesellschaft zurück, übernahm aber zugleich einen Großteil der tradierten antijüdischen Denk- und Verhaltensmuster.
Voltaire (1694–1778) führte das Christentum auf seinen jüdischen Ursprung zurück und lehnte beide Religionen von Grund auf ab. In seinem Werk finden sich wiederholt heftige Hasstiraden gegen Juden als „betrügerische Wucherer“, „diebische Geldverleiher“, den „Abschaum der Menschheit“ usw.. Er hielt diese Züge für angeborene, unveränderliche Eigenschaften. Trotzdem verteidigte er auch ihre Gewissensfreiheit und protestierte gegen damalige religiöse Verfolgungen.
Diderot (1713–1784) dagegen glaubte an die soziale Bedingtheit aller religiösen Erfahrung und damit an ihre Veränderbarkeit. Mit seinem Enzyklopädie-Projekt wollte er indirekt auch einen Beitrag zur Überwindung des jüdisch-christlichen religiösen „Wahns“ leisten.
Georg Christoph Lichtenberg (1742–1799) urteilte über „den Juden“: Er sei …ein unersättlicher, habgieriger Betrüger, besessen von einem skrupellosen Handels- und Schachergeist…, amoralisch, gerissen, hinterhältig und schmarotzerhaft. Er halte sich für viel zu intelligent, sei ausgesprochen anpassungsfähig, nutzlos und schädlich für die Umwelt, ein Paradigma des Bösen und eine Identifikation des Minderwertigen. So verglich er die Juden in seinen Sudelbüchern öfter mit Sperlingen, die damals als schlimme Flurschädlinge galten und massenhaft bekämpft wurden.
Sogar Immanuel Kant (1724–1804), der wie Goethe Juden zu seinen besten Freunden zählte und in seinem Sittengesetz biblische Grundgedanken vernunftgemäß entfaltete, nannte sie „Vampyre der Gesellschaft“ und meinte 1798:[6]
Die unter uns lebenden Palästinenser sind durch ihren Wuchergeist seit ihrem Exil in den nicht unbegründeten Ruf des Betruges… gekommen.
Er hielt das Christentum für sittlich überlegen und grenzte es scharf gegen das Judentum ab. Ohne Kenntnis der rabbinischen Tradition verlangte er von Juden die Abkehr von biblischen Ritualgesetzen und ein öffentliches Bekenntnis zur ethischen Vernunftreligion. Erst dann könnten sie Anteil an allen Bürgerrechten erhalten.
Johann Gottfried Herder (1744–1803) hielt die Juden für „verdorben“, „ehrlos“ und „amoralisch“. Er glaubte, dass nur Erziehung sie bessern könne, und forderte die Abkehr von ihrer Religion als Voraussetzung für ihre nationale und kulturelle Integration. Er deutete die Diaspora-Situation der jüdischen Minderheit als deren Unfähigkeit zu einem eigenen Staatsleben: Juden seien seit Jahrtausenden eine parasitische Pflanze auf den Stämmen anderer Nationen.[7]
John Toland (1670–1722), englischer Freidenker, sprach sich als Erster ausdrücklích für eine Befreiung der Juden von rechtlicher und kultureller Herabsetzung aus. Vor allem Moses Mendelssohn (1729–1786) kämpfte für diese Anerkennung seiner Religion, die er zugleich von innen liberalisieren und über sich selbst aufklären wollte (Haskala). Sein Freund Gotthold Ephraim Lessing (1729–1782) rief 1749 in seinem Lustspiel Die Juden dazu auf, die anachronistischen Vorurteile gegen sie aufzugeben. In seinem Drama Nathan der Weise (1779) forderte er die gegenseitige Toleranz der drei monotheistischen Weltreligionen, deren subjektive „Wahrheit“ objektiv unbeweisbar sei. Die Hauptfigur trägt deutlich Mendelssohns Züge und setzte ihm ein Denkmal. Lessing glaubte an die Aufhebung jedes religiösen Aberglaubens durch humanen Fortschritt und die pädagogische Erziehung des Menschengeschlechts (1781); auch den „jüdischen Kinderglauben“ an Tora und Talmud wollte er damit „überwinden“.
Von den wichtigen Theoretikern der Aufklärung war nur Montesquieu (1689-1755) bereit, das Judentum in seiner Eigenart anzuerkennen. Sonst empfahlen alle den Juden den Verzicht auf ihre Religion und Tradition und damit praktisch die Selbstaufgabe. Dennoch setzten sie die rechtliche Gleichstellung der Juden als Bürger auf die politische Tagesordnung.
Emanzipation und Reaktion
Hauptartikel: Jüdische Emanzipation
Die Situation der Juden ließ sich nur als späte Folge der bürgerlichen Demokratiebewegung ändern. Die Schrift des preußischen Archivars Christian Wilhelm Dohm Über die bürgerliche Verbesserung der Juden (1781) wurde einflussreiches Leitbild für solche Reformen. Doch um 1800 lasen und diskutierten nur wenige Gebildete und Adelige die Schriften der Aufklärer, während die einfache Bevölkerung Juden weiterhin als minderwertig und minderen Rechts behandelte. In den Umbrüchen des bürgerlichen Zeitalters fürchteten viele den Verlust ihrer bisherigen ökonomisch-sozialen Privilegien. Dies wog schwerer als die Aussicht auf mehr demokratische Partizipation. Daher war der Emanzipationsprozess - besonders für Juden im deutschsprachigen Raum - langwierig, mit ständigen Rückschlägen verbunden und nur mit staatlichen Verordnungen von „oben" durchsetzbar. Diese spiegelten durchweg eine von traditioneller christlicher Dominanz bestimmte Diskriminierung des Judentums.
Nach ersten Schritten wie dem Habsburger „Toleranzpatent“ 1781 brachte die französische Nationalversammlung den Juden 1791 erstmals in einem europäischen Land die vollen Bürgerrechte. Sie hob damit aber auch ihre bisherigen Sonderrechte – vor allem Gemeindeautonomie und Wehrdienstbefreiung – auf und zwang sie so zur Assimilation.
Der von Napoleon 1804 erlassene Code civil machte die prinzipielle Gleichberechtigung aller Bürger des Landes unabhängig von ihrer Religion auch in den von Frankreich eroberten Gebieten zum Gesetz: So erhielten z.B. die Juden des Rheinlands oder Hamburgs zum ersten Mal die bürgerlichen Freiheitsrechte. Doch bereits 1808 schränkte ein Dekret Napoleons diese wieder ein: Jüdische Kreditgeber mussten nachweisen, dass ihre Forderung an den Schuldner ohne „Betrug" zustande gekommen sei. Zinsen auf Darlehen wurden auf fünf Prozent begrenzt; bei mehr als zehn Prozent vereinbarten Zinsen verfiel der Gesamtbetrag. Zudem durften Juden nur noch mit Vorlage eines jährlich erneuerten Leumundszeugnisses („Judeneid“) Geschäfte abschließen. Dies bedeutete für viele jüdische Händler und Kaufleute den Ruin.[8]
Bis 1812 folgten fast alle deutschen Staaten Dohms Gleichstellungsforderungen, zuletzt Preußen mit dem Edikt betreffend die bürgerlichen Verhältnisse der Juden. Es gab diesen weitgehende Bürgerrechte, schloss sie aber weiterhin vom gehobenen Staatsdienst aus und galt nur für die schon eingebürgerten Juden altpreußischer Gebiete. Sie mussten für eine Studienberechtigung zudem am christlich-konfessionellen Religionsunterricht teilnehmen.
In den Folgejahren scheiterten Bestrebungen zur vollen Gleichberechtigung. Nach den Befreiungskriegen erlaubte der Wiener Kongress von 1814 den Staaten des Deutschen Bundes, den Juden ihre von Napoleon verfügten Rechte wieder zu nehmen. Daraufhin widerriefen sie ihre bisherigen Zugeständnisse. Im Gefolge der Hep-Hep-Unruhen von 1819 (s.u.) kam es sogar wieder zu Ausweisungen (Lübeck). 1822 verbot Friedrich Wilhelm III. Juden Lehrberufe in Preußen und entließ sie aus allen Staatsdiensten. Dies machte besonders die assimilierten, gebildeten Juden arbeitslos. Für Bildungschancen und gesichertes Einkommen ließen diese sich nun vermehrt christlich taufen: Heinrich Heine sah darin das „Entreebillet zur europäischen Kultur“.
Erst ab 1830 forderten auch liberale Demokraten die „bürgerliche Verbesserung“ der Juden wie der Bauern, um die feudale Ständegesellschaft abzuschaffen. Der deutschpatriotische Jude Gabriel Riesser kämpfte für volle Religionsfreiheit ohne diskriminierende soziale Folgen und sorgte dafür, dass die Frankfurter Nationalversammlung 1848 diese in die Grundrechte des deutschen Volkes aufnahm. Viele deutsche Staaten, die Napoleons Dekret von 1808 übernommen hatten, hoben es erst 1849 auf. Bis 1850 blieben die preußischen Berufsverbote in Kraft, so dass Juden weiterhin nur verachtete und unsichere Nischenberufe und Kleingewerbe blieben.
Nach dem Herzogtum Baden (1862), der Stadt Frankfurt am Main (1864), dem Norddeutschen Bund (1869) wurde schließlich 1871 die volle Gleichberechtigung der Juden gesamtdeutsches Staatsgesetz im Kaiserreich.[9]

Nationalismus und Frühantisemitismus
Am Vorabend der Französischen Revolution definierte Emmanuel-Joseph Sieyès in seiner einflussreichen Kampfschrift Was ist der Dritte Stand den Begriff der Nation als die Gesamtheit aller Bürgerlichen im Gegensatz zu den privilegierten Ständen von Adel und Klerus. Für die Pariser Revolutionäre von 1789 galten für alle Landesbewohner die gleichen Menschenrechte. Zur Nation konnte jeder gehören, der sich zu ihren Prinzipien von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit bekannte.
Auf diese offene und demokratische Definition reagierten andere Staaten wegen und nach der französischen Besetzung mit einer ethnischen, exklusiven, völkischen Auffassung von „Nation" als einer „Abstammungsgemeinschaft“. Diese wurde nicht gegen die privilegierten Stände, sondern gegen die Franzosen und alle anderen Fremden, darunter besonders auch die religiöse Minderheit der Juden, abgegrenzt.
Besonders in Deutschland verband sich der Nationalismus schon früh mit dem Antisemitismus und der Ablehnung demokratischer Ziele. Bereits vor 1848 sahen viele den angestrebten deutschen Nationalstaat als „Organismus“ und verbanden mit diesem biologischen Sprachbild häufig Kritik an „Volksschädlingen“, vor allem an den Juden. Anknüpfend an mittelalterliche Herabsetzungen der „Wucherer" wurden diese häufig als unproduktive „Schmarotzer" dargestellt.
Diese Sicht vertrat der Berliner Justizrat Karl Wilhelm Friedrich Grattenauer zu Beginn der preußischen Emanzipationsdebatte 1791 mit seiner Schrift Über die physische und moralische Verfassung der heutigen Juden, die unverhohlen zu ihrer Vertreibung aufforderte. Dies löste heftige öffentliche Debatten in Berlin aus, denen weitere Hassausbrüche Grattenauers (u.a. 1804: Wider die Juden) folgten, bis der Staat seine Schriften verbot.
Auch der Berliner Schriftsteller Friedrich Buchholz warnte 1803 (Jesus und Moses) vor der langwierigen „bürgerlichen Verbesserung" der Juden und bedauerte, dass ihre Vertreibung heutzutage nicht mehr möglich sei. Gleichwohl wurde diese Möglichkeit öffentlich ausführlich erörtert und blieb ständiges Drohmittel, um die Assimilation der Juden zu beschleunigen. In beiden Lösungsmodellen, Vertreibung wie „Verbesserung“, ging es darum, ihre Religion baldmöglichst verschwinden zu lassen.[14]
Auch der Schweizer Pädagoge Johann Heinrich Pestalozzi, der „Turnvater“ Friedrich Ludwig Jahn und der Völkerkundler Ernst Moritz Arndt waren bekennende Judenfeinde. Sie begründeten jene Volkstums-Ideen, auf die rassistische Antisemiten später zurückgriffen. Arndt schrieb z.B. im Kontext der Zuwanderung russischer und polnischer Juden nach Westeuropa:[15]
…Die Juden als Juden passen nicht in diese Welt und in diese Staaten hinein, und darum will ich nicht, dass sie auf eine ungebührliche Weise in Deutschland vermehrt werden. Ich will es aber auch deswegen nicht, weil sie ein durchaus fremdes Volk sind und weil ich den germanischen Stamm so sehr als möglich von fremdartigen Bestandteilen rein zu erhalten wünsche. [...] Ein gütiger und gerechter Herrscher fürchtet das Fremde und Entartete, welches durch unaufhörlichen Zufluß und Beimischung die reinen und herrlichen Keime seines edlen Volkes vergiften und verderben kann. Da nun aus allen Gegenden Europas die bedrängten Juden zu dem Mittelpunkt desselben, zu Deutschland, hinströmen und es mit ihrem Schmutz und ihrer Pest zu überschwemmen drohen, da diese verderbliche Überschwemmung vorzüglich von Osten her nämlich aus Polen droht, so ergeht das unwiderrufliche Gesetz, dass unter keinem Vorwande und mit keiner Ausnahme fremde Juden je in Deutschland aufgenommen werden dürfen, und wenn sie beweisen können, dass sie Millionenschätze bringen.
Während die meisten Staatsregierungen die Integration der Juden im Interesse aller Bürger auf lange Sicht bevorzugten, blieb lokale Judenvertreibung in vielen Provinzstädten denkbar und opportun. Deshalb aktivierten auch akademische Frühantisemiten gern „Volkes Stimme". Der Völkerkundler Friedrich Christian Rühs (1781-1820) z.B. schrieb in einem antijüdischen Traktat 1816: Könne man die Juden nicht zur Taufe bewegen, dann bliebe nur ihre Ausrottung. Dem stimmte der Philosoph Jakob Friedrich Fries in seinem Aufsatz Über die Gefährdung des Wohlstandes und Charakters der Deutschen durch die Juden zu:[16] Fragt doch einmal Mann vor Mann herum, ob nicht jeder Bauer, jeder Bürger sie als Volksverderber und Brotdiebe haßt und verflucht. Die „Gesellschaft prellsüchtiger Trödler und Händler" müsse ihre betrügerische Tätigkeit aufgeben oder der Staat müsse sie dazu zwingen, da andernfalls ihre gewaltsame Vertreibung unausweichlich sei. Er forderte, sich von der „jüdischen Pest“ zu befreien.
Ries war es auch, der bei der Gründung der Urburschenschaft auf dem Wartburgfest 1817 die anwesenden Studenten zu einer Bücherverbrennung aufhetzte. Dabei wurde auch die Schrift Germanomanie des jüdischen Autoren Saul Ascher, die sich kritisch mit Nationalismus und Verfolgungswahn der deutschen Patrioten auseinandersetzte, mit dem Ruf Wehe über die Juden! ins Feuer geworfen. Dies veranlasste Heinrich Heine 1819 zu der weitsichtigen Vorhersage:
Wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.
Kriminalrat Christian Ludwig Paalzow schrieb 1817 einen Dialogroman Helm und Schild, der die Argumente für und wider das jüdische Bürgerrecht auf einen Juden (Helm) und einen Christen (Schild) verteilte und letzteren rhetorisch siegen ließ. Er verwies im Munde Schilds auf die angeblich zu starke Vermehrung der Juden, ihre politische Unzuverlässigkeit und Neigung zur Rebellion aufgrund ihres Messiasglaubens. Ihre Gewerbefreiheit werde ihnen die ökonomische Macht über die Mehrheit zufallen lassen. Um dies zu verhindern, müsse man sie rechtzeitig vertreiben, wenn sie nicht freiwillig gingen. Der Schaden durch ihren Verlust sei geringer als der Nutzen, sie los zu sein.
1821 veröffentlichte Hartwig von Hundt-Radowsky den Judenspiegel. Darin propagierte er u.a. den Verkauf jüdischer Kinder als Sklaven an die Engländer, um weitere jüdische Nachkommen zu verhindern, und schließlich unverhohlen die Vertilgung und Vertreibung aller Juden.
Heinrich Eugen Marcard forderte 1843 in Minden mit einer Petition die „Vertilgung" der Juden. Hermann von Scharff-Scharffenstein schrieb 1851 in seiner antijüdischen Schrift Ein Blick in das gefährliche Treiben der Judensippschaft:[17]
Das aber bildet eben den Grundcharakter dieser Nation, daß sie allem eigenen und fremden Staatsleben sich feindlich entgegenstellen und wie Parasiten an alle Völker sich anklammern, ohne diesen anders zu lohnen, als indem sie dieselben zu Grunde richten...Die Juden wollen die Herrschaft über Deutschland, ja über die ganze Welt erlangen. Deshalb werden sie nicht gehen, denn 'hier' können sie wie Vampyre das Blut der Christen saugen und in Palästina finden sie keine.
Wie viele andere Autoren verwendete er auch die Tiermetaphern der Spinne, die ihr Netz um die Welt spinnt, des Blutegels oder der gefräßigen Heuschrecken für Juden.
In den Jahren 1803-1805, 1812-1819, 1848ff waren judenfeindliche Schriften in der akademischen Literatur besonders oft vertreten. Sie setzten die mittelalterliche Tradition antijüdischer Hetzschriften im aufgeklärten, kirchenfernen Bürgertum fort und etablierten die Ressentiments, Abgrenzungs-, Deportations- und Vernichtungsrhetorik im öffentlichen Diskurs. Solche Ziele wurden also schon gut 100 Jahre lang erörtert, bevor der Rassebegriff für das Judentum aufkam.
Antijüdische Krawalle nach 1812
Die Reaktionen im Volk auf bürgerliche Emanzipation und intellektuelle Juden-Aversion ließen nicht lange auf sich warten. Im August 1819 breitete sich mit den Hep-Hep-Unruhen eine gewaltsame Krawallserie von deutschen Großstädten bis Kopenhagen und Amsterdam aus. Politisch und ökonomisch unzufriedene Handwerker, Bauern und Studenten gaben die Schuld an den Problemen der frühkapitalistischen Industrialisierung den Juden. Sie plünderten und zerstörten deren Häuser und Geschäfte, steckten Synagogen in Brand, misshandelten und ermordeten Juden mit dem Kampfruf:
Nun auf zur Rache! Unser Kampfgeschrei sei Hepp, Hepp, Hepp! Allen Juden Tod und Verderben, ihr müsst fliehen oder sterben!
„Hep“ wurde als Abkürzung eines alten Kreuzfahrer-Rufs Hierosolyma est perdita (lateinisch: „Jerusalem ist verloren“) und damit als Anspielung auf die Massaker der Kreuzzüge oder als Aufforderung Springt, haut ab analog zu Tieranrufen gedeutet. In den Flugblättern und Parolen der Krawallanten wurden Juden als „Christusmörder“ angegriffen. Hier kam die langanhaltende kirchliche Indoktrination zum Vorschein. Die Aufklärung hatte also nur eine schmale Schicht von Gebildeten erreicht, von denen auch nur wenige das Judentum und seine Emanzipation vorbehaltlos akzeptierten. Sie wurden nicht von der Masse der Bevölkerung getragen.
Auch in den Folgejahrzehnten gab es an vielen Orten Gewalttaten gegen Juden, teils als Begleitung des allgemeinen antifeudalen Protestes und revolutionärer Stimmungen, teils in Krisensituationen oder aus alten religiösen Motiven. In Hamburg wurden Juden 1830 und 1835 wie schon 1819 vom Jungfernstieg vertrieben. Angeregt durch Sensationsberichte über die Damaskusaffäre 1840 lebte auch die Ritualmordlegende wieder auf und führte in einigen Orten - u.a. Geseke, Oettingen, Thalmässing - zu teilweise monatelangen Ausschreitungen gegen Juden. Dabei wurden erneut Hepp, Hepp, Jude verreck!-Hetzrufe und die Parole Schlagt die Juden tot! laut. In Mannheim führte ein Regierungsbeschluss, eine Judenpetition für Gleichstellung zuzulassen, zu Volkskrawallen gegen Juden der Stadt. 1848 zerstörten Bauerngruppen in Leiningen im Taubertal Wohnungen von Juden, die sie als Gläubiger ansahen. In Baisingen verjagten bewaffnete Bauernknechte jüdische Bewohner mit dem Ruf „Geld oder Tod!" aus ihren Häusern und nötigten vorübergehend 230 Juden des Ortes zur Flucht. Sie versuchten, die Gemeinderäte zu erpressen, den Juden das Bürgerrecht zu nehmen, das die Allmende-Nutzung einschloss.
Im Verlauf der Revolution 1848/49 kam es besonders in süd- und ostdeutschen Regionen und etwa 80 Städten, darunter Berlin, Köln, Prag und Wien, zu schweren antijüdischen Exzessen. Neben Angriffen auf Symbole der Abhängigkeit - Kreditbriefe, Schuldenakten - wurden dabei immer wieder Vernichtungsdrohungen laut, sowohl von revolutionärer - meist Bauern - wie antirevolutionärer - meist Bürger - Seite, die den Juden für Not und Revolution die Schuld gaben.[18]

Rassismus und Sozialdarwinismus
Das kirchliche Mittelalter hatte Juden prinzipiell eine jenseitige Erlösung offengehalten, die sie durch die Taufe schon in diesem Leben erreichen konnten. Deshalb wurden jüdische Gemeinden zeitweise geduldet und von manchen Päpsten und Kaisern ausdrücklich geschützt. Freiwillig getaufte Juden waren vor weiterer Verfolgung meist relativ sicher.
Nur bei Zwangstaufen behielten andere Christen Vorbehalte gegen sie: besonders in Spanien unter Ferdinand II. (Aragón) und seiner Gemahlin Isabella I. von Kastilien. Auch nach der Massenvertreibung der spanischen Juden 1492 verfolgte die spanische Inquisition die im Land gebliebenen „Conversos“ als marranos („Schweine“), die ihre angestammte Religion angeblich oder tatsächlich heimlich weiter ausübten. Neuchristen jüdischer Herkunft wurden mit dem rassistischen Ideal der limpieza de sangre („Reinheit des Blutes“) aus den erreichten gesellschaftlichen Positionen wieder verdrängt.
Dieses Muster wiederholte sich im 19. Jahrhundert als Reaktion auf die Judenemanzipation. 1790 entwickelte der Göttinger Popularphilosoph Christoph Meiners (1747-1810) ein Rangsystem der Rassen, das Juden zwar über „Orang-Utans“, „Negern", „Finnen" (Lappen) und „Mongolen" skalierte, aber unter Weißen und Christen. Er folgerte daraus, dass sie weniger Rechte als diese beanspruchen könnten. Seit Ernest Renan war es zudem üblich, Juden als „Semiten" einen Mangel an Zivilisiertheit nachzusagen. Frühe Antisemiten wie Grattenauer und Hundt-Radowsky verglichen Juden direkt mit Affen, um ihnen die Menschenrechte abzusprechen und ihren Emanzipationsprozess, ihr Streben nach Bildung und Aufklärung als von vornherein lächerlich und illusorisch abzuwerten.[19]
Nach der rechtlichen Gleichstellung wurde der angebliche rassische zum welthistorischen Gegensatz überhöht: „Arier“ galten als zur Weltherrschaft berufene Bevölkerungsgruppe, „Semiten“ als ihre zur Unterlegenheit bestimmten Konkurrenten, die gleichwohl zur Zeit noch über die Arier herrschten. In vielen Variationen wurden diese populären Klischees nun rassistisch untermauert.
1853 begründete Arthur de Gobineau mit dem Aufsatz Die Ungleichheit der Rassen die Theorie des Rassismus. Auch er wies Juden einer anderen Rasse zu als Arier. 1858 erschien der bahnbrechende Aufsatz von Charles Darwin Über die Entstehung der Arten, der die Evolutionstheorie und moderne Genetik begründete, auf Deutsch. Darin erklärte er die Entwicklung der Arten aus den Prinzipien Variation, Vererbung und Selektion: Der „Kampf ums Dasein“ führe zu einer Auslese der dem Überleben angepasstesten Arten. In Analogie dazu deuteten Rassisten auch die Völkergeschichte als Ergebnis eines ewigen Kampfes von höher- und minderwertigen Rassen. Das bot Antisemiten die Möglichkeit, die „Judenfrage“ mit pseudobiologischen Argumenten als Rassenproblem zu propagieren.
So schrieb der österreichische Kulturhistoriker Friedrich von Hellwald (1842-1892) anknüpfend an Renan 1872 in einem Zeitungsartikel, Juden seien nicht einfach nur eine andere Religion, sondern eine völlig andere Rasse, eingewandert aus Asien. Diese Fremdartigkeit würden Europäer „instinktiv" spüren. Das sogenannte Vorurteil gegen Juden sei also ein natürliches, durch zivilisatorischen Fortschritt niemals zu überwindendes Gefühl. Der Jude sei Kosmopolit und besitze eine Schlauheit, mit der er dem ehrlichen Arier überlegen sei. Von Osteuropa aus grabe er sich als Krebsgeschwür in die übrigen europäischen Völker ein. Ausbeutung des Volkes sei sein einziges Ziel. Egoismus und Feigheit seien seine Haupteigenschaften; Selbstaufopferung und Patriotismus seien ihm völlig fremd.
Diese seit Mittelalter und Früher Neuzeit bekannten Sprachbilder der Entmenschlichung passten die Antisemiten der wissenschaftlichen Sprache an und übertrugen Begriffe aus der Bakteriologie, Mimikry-Theorie und Rassenlehre auf die jüdische Minderheit und ihr Verhältnis zur Mehrheit. Dabei wurden die Juden immer stärker nicht nur mit Schmarotzern, Volksschädlingen, Ausbeutern, Krebsgeschwüren, Ungeziefer, Seuchen, Blutsaugern, wuchernden Schlingpflanzen usw. verglichen, sondern identifiziert: Sie wirkten nicht nur ansteckend wie Pest oder wuchernd wie Krebs, sondern sie waren die Krankheit selbst. Stand im mittelalterlichen Aberglauben hinter ihnen der Teufel, also eine letztlich unbesiegbare dämonische Macht, so war es mit dem medizinisch-technischen Fortschritt vorstellbar, sich dieser „menschlichen Viren" radikal zu entledigen.[20]
Das verschloss Juden jede Möglichkeit, sich durch die christliche Taufe sozial anzupassen. Denn auch getaufte Juden blieben nun Juden, die von Juden – Vorfahren mit jüdischer Religion – abstammten, egal ob und wie lange ihre Vorfahren schon Christen waren. Damit war die Religionszugehörigkeit für Antisemiten nur noch als pseudobiologisches Merkmal wichtig, das Judesein zum unentrinnbaren Schicksal machte. Die Juden zugeordneten negativen Eigenschaften erschienen als „Erbgut“, das keinerlei Erziehung, Bildung, Integration und Emanzipation verändern könne. So wurden sie als nicht integrierbarer Fremdkörper in den europäischen Nationen dargestellt und ihre völlige Vertreibung aus ganz Europa als einzig realistische „Lösung der Judenfrage" nahegelegt. – Darwin distanzierte sich 1880 von diesem politischen Missbrauch seiner Theorie.
Der Rassismus verschärfte auch die allgemeine Fremdenfeindlichkeit: Er untermauerte die Ablehnung anderer Völker nach außen und ethnischer oder anderer Minderheiten nach innen. Völkisch definierte „Fremde“ konnten nun als „Artfremde“ eingestuft werden. So wuchs parallel zum Antisemitismus in ganz Europa z.B. die Ablehnung der Sinti und Roma oder – im Rahmen des Antislawismus – der Sorben.
Politischer Antisemitismus im Kaiserreich
Nach der gewaltsamen Reichsgründung von 1871 sollte der Patriotismus die zerrissene bürgerlich-liberale Gesellschaft einen. Minderheiten, vor allem den Juden, wurde oft ein Mangel an „wahrem Deutschtum“ unterstellt. Politisch-soziale Widersprüche und ökonomische Krisen im nationalen Einigungsprozess wurden ihnen angelastet.
Auf den Börsenkrach 1870 folgte 1873 im Gefolge einer weltweiten Depression ein Gründerkrach. Viele Bauern, Händler und Bürger verloren ihre Ersparnisse und mussten ihre Firmen aufgeben, während Großindustrielle und Bankiers Verluste besser auffangen konnten. Da sich unter letzteren relativ viele Juden befanden, machte der abstiegsbedrohte Mittelstand alle Juden für die Pleitewelle verantwortlich. Nun ergriff der Antisemitismus breite Bevölkerungsschichten: Viele neu gebildete Vereine machte ihn zu ihrem Programm.
Im selben Jahr begann der Journalist Wilhelm Marr (1819–1904) seine antisemitische Publizistik, mit der er Gobineaus säkularrassistische Ideen übernahm, aber nur die Juden als besondere „Rasse“ kennzeichnete, um sie ideologisch besser ins Visier nehmen zu können. Dabei konnte er auf fortbestehende kirchliche, aufgeklärte und völkisch-nationale Judenbilder zurückgreifen.
Stärker ökonomisch argumentierte Otto Glagau (1834–1892) in einer vielgelesenen Artikelserie in der Gartenlaube (1874), dann mit Schriften über den angeblichen Börsen- und Gründungsschwindel in Berlin (1875) und Bankerott des Nationalliberalismus und die 'Reaktion' (1878). Auch er wandte sich an ruinierte Mittelständler und Kleinbürger und mobilisierte deren überkommene christliche Vorurteile gegen Juden.
Anfang 1878 gründete der lutherische Hofprediger Adolf Stoecker (1835–1909) die Christlichsoziale Partei als Gegenpartei zur Sozialdemokratie. Er wollte zunächst die Arbeiter für eine „Rechristianisierung" der Gesellschaft und Akzeptanz des vom protestantisch-konservativen Preußen geführten Kaiserreichs gewinnen. Doch fand er weitaus mehr Anhänger im ökonomisch bedrohten Kleinbürgertum und Mittelstand, die ihn drängten, sich zur „Judenfrage" zu positionieren. Daraufhin forderte er seit September 1879 die Begrenzung des vermeintlichen jüdischen Einflusses auf die Politik und wurde so populär. Stoecker initiierte die Berliner Bewegung, die in den 1880er Jahren verschiedene antisemitische und konservative Kräfte bündeln konnte. Seine Ideen wirkten stark auf den deutschnationalen Protestantismus ein.
1879 gilt als Geburtsjahr des „modernen" Antisemitismus, in dem sich deutschnationale, antiliberale, antikapitalistische und rassistische Motive verknüpften und im Bürgertum reichsweit gesellschaftsfähig wurden. Undurchschaute Krisenphänomene, die die Industrialisierung, Kapitalisierung und Internationalisierung der Märkte begleiteten, wurden auf eine angebliche kulturelle, politische und ökonomische Dominanz der jüdischen Minderheit zurückgeführt. Das Judentum stand für eine Infiltration der Nation mit ihr fremden Ideen und Tendenzen, für egoistisches Gewinnstreben und kalten Rationalismus. Britischer Manchesterliberalismus und sozialistischer Internationalismus wurden gleichermaßen auf jüdisches „Wesen“ zurückgeführt. So münzte man die Emanzipation der Juden in eine „Emanzipation von den Juden" um, die notwendige Bedingung für nationale Identitätsfindung sei.
In jenem Jahr erschien Marrs Buch Der Sieg des Judenthums über das Germanenthum. Es fand reißenden Absatz und erreichte schnell 11 Auflagen. Daraufhin gründete er die „Antisemiten-Liga“ als erste deutsche Gruppe, die sich dem Kampf gegen eine angebliche jüdische Bedrohung verschrieb. Ihr erklärtes Ziel war die Vertreibung der Juden aus Deutschland. Sprachrohr dafür war das Hetzblatt Deutsche Wacht, das Marr zweimal monatlich herausgab.
Im selben Jahr ergriff der Berliner Antisemitismusstreit monatelang die Hauptstadt und die Akademikerzunft: Der Historiker Heinrich von Treitschke (1834–1896) griff Stöckers Forderungen auf und schrieb in einem Artikel den verhängnisvollen, später von den Nationalsozialisten übernommenen Satz: Die Juden sind unser Unglück. Dagegen kritisierte sein angesehener Kollege Theodor Mommsen (1817–1903) die um sich greifende allgemeine Judenfeindschaft scharf. Zwar blieb Treitschke an der Humboldt-Universität danach isoliert; doch nun war die „Judenfrage" auch als „wissenschaftliches“ Thema etabliert.
Der hochdekorierte Veteran des Deutsch-Französischen Krieges Max Liebermann von Sonnenberg (1848–1911) initiierte zusammen mit dem Lehrer Bernhard Förster (1853–1889) – einem Schwager von Friedrich Nietzsche – im Sommer 1880 eine „Antisemitenpetition“. Sie forderte u.a. eine separate Besteuerung von Juden, ihren Ausschluss von allen Regierungsämtern, vom öffentlichen Dienst und Bildungswesen sowie ein Verbot jüdischer Einwanderung nach Deutschland. Vermittelt durch Förster bildeten sich an vielen Universitäten Ausschüsse zur Unterstützung der Petition, aus denen die ersten Vereine Deutscher Studenten hervorgingen. Auch Marrs Liga mobilisierte ihre Anhänger dafür. 250.000 Bürger unterzeichneten die Petition binnen Jahresfrist; Sonnenberg brachte sie in den Reichstag ein. 1881 gründete er den patriotisch-konservativen Deutschen Volksverein sowie die Deutsche Volkszeitung. Diese half, das Schlagwort „Antisemitismus“ im ganzen Deutschen Reich zu verbreiten.
Glühende Antisemiten der 1880er Jahre waren auch:
• Dr. Ernst Henrici (1854–1915), der 1880 reichsweit mit antisemitischen Hetzreden Wähler für seine Soziale Reichspartei zu gewinnen suchte. Er bezeichnete sich selbst als „Brandstifter", griff auch Kirchen und Obrigkeit an und löste häufig Tumulte und Prügeleien aus.
• der als „Judenschläger“ bekannte Graf Pückler auf Branitz, der die Bauern seiner Region aufrief, Juden totzuprügeln.
• der Nationalökonom Eugen Dühring (1833–1921). Sein populäres Buch Die Judenfrage als Racen, Sitten und Kulturfrage von 1881 erklärte die Kluft zwischen Ariern und Semiten für unüberbrückbar und forderte, die Juden wieder in Ghettos zu zwingen. Er sah die Juden als „Drahtzieher“ der Krisenphänomene und sozialen Missstände der Industrialisierung, deren angeblich übermächtigen Einfluss es auszuschalten gelte:[21]
Der unter dem kühlen nordischen Himmel gereifte nordische Mensch hat die Pflicht, die parasitären Rassen auszurotten, wie man eben Giftschlangen und wilde Raubtiere ausrotten muss!
Auf dem „Antisemitischen Kongress“ von 1882 versuchten diese Wortführer mit etwa 400 ihrer Anhänger gemeinsame Ziele zu finden. Dies gelang nur begrenzt, so dass das abschließende Manifest an die Regierungen und Völker der durch das Judenthum gefährdeten christlichen Staaten keine konkreten politischen Forderungen erhob. Der zweite, von Dühring dominierte radikalere Kongress von 1886 hatte nur noch 40 Teilnehmer.
Die Hetzpropaganda wurde umso intensiver: Ab 1885 verwendeten Marrs Zwanglose Antisemitische Hefte „Semitismus“ als feststehenden Sammelbegriff für alle bürgerlich-liberalen Erscheinungsformen: Aufklärung, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Kulturaustausch, individuelles Glücksstreben, Demokratie, Kapitalismus. Diese galten als Ausdruck einer fremden, „jüdischen" Gegenkultur, die man als Patriot fundamental bekämpfen müsse. Die Juden seien die eigentlichen Urheber alles „Modernen“ und „Schädlichen“: Dieses Feindbild richtete sich vor allem gegen ihre rechtliche Gleichstellung und soziale Emanzipation. Es ersetzte die Analyse der tatsächlichen Ursachen der sozialökonomischen Probleme und Kritik an der Politik der Reichsregierung. Bis 1890 erschienen im Kaiserreich an die 500 Schriften, die sich in diesem Sinne mit der „Judenfrage“ befassten. Hinzu kamen mindestens 120 antisemitisch ausgerichtete Tageszeitungen, Monatsblätter und Vereins-Publikationen.
Auch parteipolitische Bestrebungen wurden verstärkt: Otto Böckel (1859–1923) gründete 1886 seine Deutsche Reformpartei, die sich noch im selben Jahr mit weiteren Gruppen zur Deutschen antisemitischen Vereinigung zusammenschloss. Böckel saß seit 1887 im Reichstag und trug sich dort stolz als erster „Antisemit“ ein. 1889 schlossen sich Stoeckers und Sonnenbergs Anhänger zur neuen Deutschsozialen Partei zusammen, Böckel gründete mit weiteren Gruppen 1890 die Antisemitische Volkspartei. Beide neuen Parteien forderten die Aufhebung der Emanzipationsgesetze, verhöhnten liberale Gleichstellungsparteien im Wahlkampf als „Judenschutztruppe“ und gewannen bei den Reichstagswahlen desselben Jahres knapp drei Prozent der Stimmen.
1893 errangen beide Antisemitenparteien zusammen 18 Reichtagsmandate. 1894 vereinigten sie sich unter Führung Böckels zur Deutschsozialen Reformpartei. Ihr Programm baute auch auf den Rassentheorien von Houston Stewart Chamberlain (1855–1927) auf und redete erstmals von der „Endlösung der Judenfrage“. 1899 hieß es darin:[22]
Dank der Entwicklung unserer modernen Verkehrsmittel dürfte die Judenfrage im Laufe des 20. Jahrhunderts zur Weltfrage werden und als solche von den anderen Völkern gemeinsam und endgültig durch völlige Absonderung und (wenn die Notwehr es gebietet) schließliche Vernichtung des Judenvolkes gelöst werden.
Abgesehen von der „Judenfrage" waren die Ziele der Antisemitenparteien jedoch widersprüchlich: Während die einen Arbeiter, Bauern und Mittelstand für den Nationalstaat gewinnen wollten, richteten die anderen ihren Nationalismus gegen Adel, kirchliche und staatliche Konservative und die im Reichstag führende Nationalliberale Partei. So agitierte z.B. der Lehrer Hermann Ahlwardt landesweit gegen „Junker und Juden“. 1890 behauptete er in seinem Buch Der Verzweiflungskampf der arischen Völker mit dem Judentum, alle Berufe und Stände seien vom jüdischen Wucher beherrscht, belegte dies aber nur mit seinen privaten Finanzproblemen. 1894 legte er ein Programm vor, das vorsah, alle Großgrundbesitzer zu enteignen und ihren Besitz in Gemeineigentum zu überführen. - Theodor Fritsch versuchte 1885 mit der Zeitung Antisemitische Correspondenz, die zerstrittenen Antisemiten zusammenzuführen. Dazu verfasste er 1887 einen damals weit verbreiteten Antisemiten-Katechismus. - Aufgrund innerer Uneinigkeit verloren sie danach jedoch wieder an Stimmen. Bei der Reichstagswahl 1903 erhielten ihre Parteien nur 3,5 Prozent (11 Mandate). 1907 stellten sie noch sieben Abgeordnete. Sonnenberg saß bis 1911 im Reichstag. Keins der Ziele seiner Petition von 1879 wurde im Kaiserreich erreicht.
Aber der politische Antisemitismus war nicht an bestimmte Parteien gebunden und wirkte viel weiter, als deren Stimmenanteile vermuten lassen. Viele Vereine blieben seit 1880 antisemitisch eingestellt, u.a. die Deutsche Turnerschaft, der Reichskammerbund und das angesehene Offizierskorps. Über andere Themen wie etwa die Flottenaufrüstung oder Schutzzölle gegen englische Importe konnte sich das Bild der „jüdischen Ausbeuter“ und ihrer „zersetzenden“ Demokratie-Ideen in breiten Bevölkerungsschichten festsetzen.
Besonders folgenreich war der Antisemitismus an den Hochschulen. Viele dort ausgebildeten Akademiker, Juristen, Ärzte, Ingenieure, Lehrer und Pastoren beteiligten sich dauerhaft an der antisemitischen Agitation, benachteiligten Juden aktiv und trugen so zu ihrer zunehmenden Verdrängung aus staatlichen Ämtern und gesellschaftlichen Ächtung bei. Auch ihre Fachverbände wurden seit etwa 1890 von der antisemitischen Welle erfasst. Viele Studentenverbindungen, als erstes 1886 der Kyffhäuserverband, schlossen Juden aus ihren Reihen aus.
Neue, nun ausdrücklich als antisemitische Interessengruppen gegründete Verbände kamen ab 1893 hinzu:
• der Bund der Landwirte, der rasch in den agrarischen Ländern Preußens Fuß fasste. Dafür sorgten auch Aktivisten der Studentenvereine wie Diederich Hahn und Zeitungsverleger wie Otto Schmidt-Gibichenfels.
• der Deutschnationale Handlungsgehilfenverband für Angestellte und Handwerker. Er gewann rasch Einfluss auch unter vielen evangelischen Jugendverbänden. Dort sah man Antisemitismus als einzige richtige weltanschauliche Alternative zu Liberalismus und Sozialismus. Viele spätere Parteipolitiker gingen aus ihm hervor.
• der Alldeutsche Verband. Er wollte nach Bismarcks Entlassung und der Aufhebung der Sozialistengesetze 1890 bewusst einer großdeutschen imperialistischen Politik im Volk zum Durchbruch verhelfen. Mit der postulierten Unterordnung der Deutschen unter einen „Gesamtwillen der Nation" wurde er zunehmend antisemitisch.
• der Deutschbund, gegründet von Friedrich Lange 1894. Sein Ziel war die „Pflege deutscher Art", sein Organ die Tägliche Rundschau.
• die Gobineau-Gesellschaft, die sich der Förderung der „nordisch-germanischen Rasse" widmete, Gobineaus Werke ins Deutsche übersetzen ließ und publizierte.
Zwar hatten diese rassistischen Gruppen nur wenige Mitglieder; doch ihre Veröffentlichungen wirkten nachhaltig auch auf die sonstigen antisemitischen Verbände ein und bestimmten deren politische Schulung mit.
Die Erfolge antisemitischer Agitation beeinflussten die Konservative Partei: Diese nahm 1892 einen Teil antisemitischer Forderungen in ihr Parteiprogramm auf. Auch die katholische Zentrumspartei ließ - nicht zuletzt wegen der Haltung von Papst Pius IX., der Juden seit 1872 der Neigung zu Anarchismus und Freimaurerei bezichtigte - antisemitische Abgeordnete auf ihren Listen kandidieren. Auch einige Sozialisten äußerten sich judenfeindlich, so Johann Baptist von Schweitzer, Präsident des ADAV, und die Redakteure sozialdemokratischer Zeitungen Wilhelm Hasselmann und Richard Calwer. Franz Mehring, enger Freund der Jüdin Rosa Luxemburg und Parteihistoriker, sprach oft abfällig und feindselig über Juden. In sozialdemokratischen Unterhaltungsblättern - z.B. dem Wahren Jakob, Süddeutschen Postillon oder der Neuen Welt - tauchten ab 1890 in Witzen, Karikaturen und Alltagsgeschichten jene judenfeindlichen Klischees auf, die sich in den vergangenen Jahrzehnten als soziale Normalität etabliert hatten: Juden werden als vom Profitstreben gelenkte, gerissene Schacherer und Wucherer, Börsenjobber und Händler ohne Geschäftsmoral dargestellt. Die Klischees unterschieden sich in Nichts von denen der bürgerlichen Literatur, die auch Romane wie Der Jude von Karl Spindler, Der Büttnerbauer von Wilhelm von Polenz u.a. immer wieder unter das Volk brachten.
Die SPD nahm jedoch seit ihrer Gründung nie antisemitische Forderungen in ihr Programm auf und war die einzige Partei im Kaiserreich, die dieser Ideologie offen widersprach. Typisch für ihren Fortschrittsglauben war aber, dass ihre Führer den verachteten „Radau-Antisemitismus" weit unterschätzten. So erklärte Wilhelm Liebknecht 1893: Ja, die Herren Antisemiten ackern und säen und wir Sozialdemokraten werden ernten. Ihre Erfolge sind uns also keineswegs unwillkommen. August Bebel, für den Antisemitismus „der Sozialismus der dummen Kerls" war[23], glaubte, sie hätten nie Aussicht, irgendeinen maßgebenden Einfluß auf das staatliche und soziale Leben auszuüben.[24]
Jüdische Reaktionen
1879 erklärte der jüdische Historiker Harry Breßlau, „Juden“ und „Semiten“ seien nicht identisch. Er werde das Wort „Jude“ weiterhin verwenden, aber nur für die Herkunft, nicht die Religionszugehörigkeit von Juden:
Um jedes Missverständnis auszuschließen, bemerke ich, dass ich diejenigen im Sinne dieser Erörterungen als Juden betrachte, deren beide Eltern als Juden geboren sind.
Damit reduzierte er Judesein seinerseits auf die Abstammung und trennte diese von der Religionszugehörigkeit. Doch diese Säkularisierung der Begriffe begünstigte nur die Gleichsetzung von Juden mit einer angeblichen „semitischen Rasse“. 1895 definierte der Brockhaus „Semitismus“ als Bezeichnung für das ausschließlich vom ethnologischen Standpunkt aus betrachtete Judentum.
Der jüdische Arzt Leo Pinsker bereiste unter dem Eindruck der Pogrome in Russland von 1881 ganz Europa. Er sah in dem Umsichgreifen des Rassenwahns eine „Judäophobie“, die er als eine Geisteskrankheit beschrieb: Ihm war das Erscheinungsbild vertraut, wonach sich gegenseitig verstärkende „Gewissheiten“ eine mentale Störung anzeigten. Er folgerte in seinem Aufsatz „Autoemanzipation“ 1882 daraus die Notwendigkeit eines eigenen jüdischen Landes und wurde damit ein Pionier des Zionismus.
Auf die vermehrte Propaganda und Parteienbildung der Antisemiten reagierten religiöse Juden und judenfreundliche Christen 1891 mit der Gegengründung des Vereins zur Abwehr des Antisemitismus. 1893 bildeten Kreise des liberalen Bürgertums in Berlin den Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens. Doch diese hatten auf die generelle Entwicklung kaum Einfluss und suggerierten ihren Mitgliedern nur, doch irgendwie zur bürgerlichen Gesellschaft zu hören.
Unter dem Eindruck der Dreyfus-Affäre in Frankreich schrieb Theodor Herzl 1896 sein Buch Der Judenstaat, das den politischen Zionismus begründete. Ein Jahr darauf berief er den 1. Zionistenkongress nach Basel ein. Doch die meisten Juden rangen weiterhin um Anerkennung und Gleichberechtigung im Kaiserreich. Folglich meldeten sich viele freiwillig zur Front, als der Erste Weltkrieg ausbrach. Sie wurden oft für besondere Tapferkeit ausgezeichnet und glaubten, dass ihre Eisernen Kreuze sie vor weiteren Verfolgungen schützen könnten.

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